: Vergleich mit Kennedy-Mord
Die Ermordung Rabins löst in den USA Schock und Trauer aus. Die Sorge über die Fortsetzung des Nahost-Friedensprozesses wächst ■ Aus Washington Andrea Böhm
Niemand im Fitneßraum des jüdischen Gemeindezentrums ahnte Böses, als Samstag abend das Fernsehteam eines Washingtoner Lokalsenders Kamera und Scheinwerfer zwischen Gewichten und Laufbändern aufbaute. Ob er denn noch nicht wisse, daß Jitzhak Rabin ermordet worden sei, fragte der Reporter einen schwitzenden Teenager. Der Junge blickte irritiert in die Kamera – nicht wissend, ob sich hier jemand einen Scherz mit ihm erlaubte. „Das glaube ich Ihnen nicht“, sagte er schließlich mit einer Mischung aus Schock und Trotz.
Kurz darauf hatten sich vor der israelischen Botschaft in Washington die ersten Menschen zu einer Mahnwache versammelt. In der „Washington Hebrew Congregation“ traf die Nachricht während einer Bar-Mitzvah-Feier ein. In einem jüdischen Seniorenheim hatten sich die Bewohner vor dem Fernseher versammelt. Manche weinten, manche zeigten sich fassungslos angesichts der Tatsache, daß das Attentat von einem jüdischen Israeli verübt worden war. Manche demonstrierten pragmatischen Fatalismus: „Wenigstens war es kein Araber“, meinte einer. „Dann hätten wir jetzt Krieg.“
Ein sichtlich erschütterter US- Präsident Bill Clinton trat Samstag nacht vor die Kameras. „Friede ist das dauerhafte Erbe von Premierminister Rabin.“ An diesem Tag, so Clinton, habe er sein Leben für den Friedensprozeß gegeben. Viele Amerikaner fühlten sich angesichts der Bilder aus Israel an die Ermordung John F. Kennedys 1963 erinnert – einer Zäsur, von der sich das Land nach Ansicht vieler nie wieder erholt hat.
Schock und Trauer waren sowohl innerhalb der US-Regierung wie auch der amerikanischen Öffentlichkeit mit Sorge vermischt. Rabin war aufgrund seiner Popularität als Kriegsheld in Israel ein Garant für die Durchsetzung des Friedensprozesses im Nahen Osten, der auf der Prioritätenliste der Bush- und Clinton-Administration ganz oben steht. Den Handschlag zwischen Rabin und PLO-Führer Arafat 1993 vor dem Weißen Haus wertet Bill Clinton gern als eine seiner politischen Sternstunden, womit er seinen Anteil am Zustandekommen des israelisch-palästinensischen Abkommens zweifellos übertreibt.
Ob und wie Rabins Nachfolger Schimon Peres den Fortgang des Friedensprozesses im Nahen Osten garantieren kann, darüber rätselt man nun in Washington – zumal die Verhandlungen in mehreren Punkten in höchst kritische Phasen geraten sind. Das betrifft unter anderem den zukünftigen Status Jerusalems und die israelisch-syrischen Verhandlungen über die Rückgabe der Golanhöhen, denen US-Außenminister Warren Christopher vor wenigen Tagen „kaum noch Lebenszeichen“ attestieren wollte. Ohne Rabin mit Syrien die Rückgabe der Golanhöhen gegen ein Friedensabkommen auszuhandeln und innenpolitisch in Israel durchzusetzen, kann sich im Moment in Washington niemand so recht vorstellen. Einen Vorgeschmack auf die inner-israelischen Debatten und ihre Auswirkungen auf den Friedensprozeß gab am Sonntag morgen auf CNN Howard Barbanel, Vertreter von „Likud U.S.A.“, dem amerikanischen Ableger der israelischen Partei, die Rabins Friedenskurs so massiv vehement bekämpft. Barbanel erklärte, Rabin sei aufgrund seiner Friedenspolitik für „eine Atmosphäre der Spaltung und Emotionalität verantwortlich“, die nun von einem Einzeltäter auf eine „absurde Ebene“ getragen worden sei. Rabins Nachfolger müsse nun zuallererst einen „Aussöhnungsprozeß“ innerhalb Israels vorantreiben.
Darüberhinaus könnte der Tod Rabins und die daraus entstehende Unsicherheit über den Fortgang des Friedensprozesses weitere außenpolitische Querschläger von Seiten des amerikanischen Kongresses produzieren. Gegen den Widerstand der Clinton-Administration verabschiedete das US- Parlament im letzten Monat eine Resolution, wonach die US-amerikanische Botschaft 1999 von Tel Aviv nach Jerusalem umziehen soll.
Auch weigert sich eine Mehrheit der Abgeordneten bislang, das ökonomische Hilfsprogramm für die Palästinenser zu verlängern, weil der PLO-Führer Jassir Arafat die Bedingungen der in Washington unterzeichneten Friedensabkommen nicht in zufriedenstellendem Maße erfülle.
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