Diszipliniert, gelassen, kühl

■ Jitzhak Rabin, der Friedensnobelpreisträger, war lange ein Mann des Militärs. Mit dem historischen Händedruck mit PLO-Chef Arafat sprang er über seinen Schatten

Es war Jitzhak Rabins größte Stunde: Am 10. September 1993 tauschte der israelische Regierungschef auf dem Südrasen des Weißen Hauses in Washington mit PLO-Chef Jassir Arafat einen knappen Händedruck aus. Israels Außenminister Schimon Peres und US-Präsident Bill Clinton assistierten. Und die Welt staunte: Nach über 40 Jahren Dauerkonflikt probten die Erzfeinde Rabin und Arafat die Versöhnung, einigten sich zwei Völker, die um ein und dasselbe Land kämpften und zu Todfeindschaft verdammt schienen, auf gegenseitige Anerkennung und Frieden: „Schalom. Salam. Peace.“

Rabins Weg nach Washington war weit. Und er begann in Jerusalem, wo er am 1. März 1922 als Sohn russischer Einwanderer geboren wurde. Schon als 18jähriger trat der Kibbuznik Jitzhak Rabin der illegalen Kommandogruppe „Palmach“ bei, später dann der israelischen Armee. 1948, als nach der Staatsproklamation die arabischen Nachbarn Israel angriffen, wurde er im Kampf um Jerusalem Kommandant der Elitebrigade „Har-El“.

In der jungen israelischen Armee machte Rabin eine beispiellose Karriere. Er galt als diszipliniert, gelassen, kühl. Vor allem aber als strategisches Genie. 1964, im Gründungsjahr der PLO, wurde er Generalstabschef. Mehr noch als Verteidigungsminister Moshe Dayan zeichnete Rabin für die Strategie des Sechs-Tage- Kriegs vom Juni 1967 verantwortlich. Die völlige Zerstörung der ägyptischen Luftwaffe ging auf sein Konto.

Der Sieg machte den menschenscheuen Rabin zum Volkshelden. Wenige Monate später beendete er turnusmäßig seine militärische Laufbahn. Und obwohl ein lausiger Redner und ohne jedes Charisma, begann er eine politische Karriere – als Führer des rechten Flügels der sozialdemokratischen Arbeitspartei. Sein innerparteilicher Widerpart und Intimfeind wurde Schimon Peres. Mehr als 15 Jahre lang befehdeten die Erzrivalen einander, lähmten ihre Intrigen und Streitereien die Partei.

Anfang 1968 ging Rabin als Botschafter nach Washington. Er blieb fünf Jahre, in denen er sein politisches Credo entwickelte: Die amerikanischen und israelischen Interessen sind identisch, nur unter dem Schutzschild der USA kann der Staat Israel überleben. Nach seiner Rückkehr aus Washington wurde der populäre Kriegsheld Anfang 1974 unter Golda Meir Arbeitsminister, im Juni 1974 schließlich selbst Regierungschef. Seine Wahl stellte eine Premiere dar: Rabin war der erste in Israel geborene Ministerpräsident. Gegenüber den Palästinensern vertrat er eine Politik der eisernen Hand, lehnte den Gedanken an einen palästinensischen Staat vehement ab. Auch der Landesvater Rabin war letztlich ein Militär. Durch und durch.

Drei Jahre später brachte ihn ein Devisenvergehen zu Fall. Rabins Frau hatte ein Dollarkonto in den USA verschwiegen. Der Ministerpräsident mußte zurücktreten. Auch als Parteichef. Den Vorsitz übernahme Rabins ewiger Rivale: Schimon Peres.

Die außenpolitische Sensation im November 1977, als der ägyptische Präsident Sadat nach Jerusalem reiste und in der Knesset eine Friedensrede hielt, erlebte Rabin als einfacher Abgeordneter. Ebenso den Separatfrieden zwischen Ägypten und Israel, den Sadat 1978 im Alleingang mit Rabins Nachfolger Menachim Begin schloß. Erst 1984 kehrte Rabin in die Regierung zurück. In der großen Koalition aus rechtskonservativem Likud und sozialdemokratischer Arbeitspartei wurde er Verteidigungsminister. Es war Rabin, der 1985 die umstrittene Libanon-Invasion beendete. Es war aber auch Rabin, der im selben Jahr die Zerstörung der PLO-Zentrale in Tunis durch israelische Bomber mitvorbereitete, um Arafat zu töten. Arafat überlebte.

Anfang Dezember 1987 begann in Gaza die Intifada, der Aufstand steinewerfender Jugendlicher. Ohne Zutun von Arafat und maßgeblich unter Federführung einer neuen Konkurrenz: der radikal-islamischen Hamas-Bewegung. Der Ausbruch der Intifada überraschte auch den Verteidigungsminister Rabin. „Wir werden ihnen die Knochen brechen“, kommentierte er den Aufstand. Seine Soldaten nahmen das wörtlich.

1990 vollzog Arafat, der 1988 auf der Sitzung des palästinensischen Nationalrates in Algier erstmals das Existenzrecht Israels anerkannt hatte, die Kehrtwende. Er schloß sich Saddam Hussein an, der den Judenstaat mit deutschem Giftgas ausradieren wollte. Das Aus für Saddam Hussein im Golfkrieg vom Februar 1991 schien endgültig Arafats letzte Stunde einzuläuten. Die reichen Ölmonarchien wiesen Hunderttausende von Palästinensern aus, die saudischen Fürsten strichen die PLO- Gelder, und neben dem palästinensischen Aristokraten Feisal Husseini und der Akademikerin Hanan Ashrawi wirkte Arafat nur noch wie eine Figur aus der Opera buffa. Arafat brauchte dringend Erfolge. Und da ihm dazu nur die Israelis verhelfen konnten, streckte er seine Fühler aus.

Im Juli 1992 wurde Rabin erneut Regierungschef. Er hatte dem Land Frieden versprochen. Zwar weigerte er sich bis zuletzt, an Verhandlungen mit der PLO auch nur zu denken.

„Wir werden ihnen die Knochen brechen“

Aber gab es denn eine Alternative? Ohne Arafat würde es Israel künftig mit der radikalen Hamas zu tun haben. Wie aber macht man Frieden mit Fundamentalisten, für die schon das Wort Israel eine Todsünde ist? Damals brachte Außenminister Peres die Kunde: Schon seit Monaten führten seine Assistenten unter norwegischer Schirmherrschaft mit PLO-Vertretern Geheimverhandlungen. Ohne Peres wäre Washington nicht möglich gewesen. Er hat die Friedensverhandlungen mit der PLO eingeleitet, Rabin zur Unterzeichnung der gegenseitigen Anerkennung gedrängt. Aber Rabin hat die endgültige Entscheidung getroffen. Der alte Militärstratege war über seinen Schatten gesprungen.

Als sich Arafat und Rabin dann am 10. September 1993 in Washington zum ersten Mal persönlich gegenüberstanden, gab es keine Küsse, keine Umarmungen. Und die beiden waren auch nicht zu Freunden geworden. Aber ihr Händedruck zeigte: Die Erzfeinde waren bereit, sich als Nachbarn zu begreifen.

Am 14. Oktober 1994 wurden Jitzhak Rabin, Jassir Arafat und – als treibende Kraft im Hintergrund – Schimon Peres mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Im vergangenen Sommer konnte Rabin noch einmal einen großen Erfolg verbuchen: die Unterzeichnung des Friedensvertrages mit Jordaniens König Hussein. Walter Saller