Besame mucho im Bus

■ Fahrt ins Blaue : Mit dem Autobus von Bremen nach Hoya, Hoya, Ho

Hätte der ÖPNV ein cleveres Managment, wäre die Busfahrt am Freitagabend nach Hoya als Vergnügungsreise permanent ausgebucht. Sie stimmt fröhlich und versetzt, zumal im Winter, in eine gewisse Melancholie – eine Mischung zwischen Trecking-Adventure und Kaffeefahrt, kurzum: eine Fahrt ins Glück.

Und die beginnt, wie meistens im Leben, mit dem Gegenteil: Eisiger Wind zerrte an zu dünner Kleidung, es herrschte Zähneklappern und Füßeabsterben am ZOB. Außerdem hatte der Bus Verspätung, jede Minute fraß eine eisige Spur ins Gedächtnis.

„Endlich“, entfleucht es der wartenden Menge, als die Lichter auftauchen. Alle drängen sich um den miefigen Wärmequell, der aus der geöffneten Tür quillt. „Wer ne Karte hat, kann hinten einsteigen“, ruft der Busfahrer. Nur ein Mann, der einzige von 13 Fahrgästen, nimmt das Angebot an. „Wir wollen nach vorne“, hält die Anführerin einer ganzen Gruppe von Geschlechtsgenossinnen in entschlossenen Tonfall dagegen.

Elf Frauen und zwei Kinder besetzen die vorderen Plätze, scharen sich um den Fahrer, ihren Hahn im Korb. „Na, Heinz, deine letzte Tour heute?“ Für heute ja, brummt der gemütlich zurück. Bis zur Weserbrücke sind die vorderen Reihen damit beschäftigt, den Kälteeinbruch zu bekakeln. Bonbontüten machen die Runde. „Hier, Heinz, das sind schöne Vitamine. Ist Granini, ist das.“

„Aber sach mol, wat riecht denn da so?“ wollen die Frauen jetzt wissen. Der Fahrer kann den Grund für den Spiritusgeruch nicht benennen. „Ist bestimmt was zum Fenster putzen, damit die nicht so vereisen“, schlägt eine der Damen einen schönen Bogen zum abgehakten Thema und initiiert die Ouvertüre zum Fachgespräch unter Frauen. „Ne, das ist nicht Meister Propper“, widerspricht eine, „Meister Propper riecht anders“. Sidolin? Unmöglich. Das Kränzchen einigt sich auf Frosch.

Heinz, dem auf diese Weise einige Minuten der Ruhe gegönnt waren, sieht sich nun mit der Frage konfrontiert, warum Martha nicht im Bus ist. Die, bringt er hervor, ist schon mittags nach Syke zurückgefahren. Komisch, die wollte doch noch zur Bank und Einkäufe machen. Dann mußte sie wohl schnell nach Hause, kommen die Damen überein.

Na ja, sie sei schließlich auch einen Tag früher von der Arbeit nach Hause gefahren, ergänzt die Anführerin und verteilt Knüffe. „Krankenschein muß auch mal sein.“ Inzwischen liegt die Stadt hinter uns, ein Kind jault „Häppi börsdi“ in die Rückenlehne, während leis das Radio trällert: „So schön kann doch kein Mann sein.“ Zwei Damen singen mit. „So schön kann doch ..., aber auf unseren Busfahrer lassen wir nix kommen.“ Kein Zweifel, mit einem Gläschen Fabersekt käme die Sache in Schwung. „Hier“, puhlt eine der Damen ein Schraubenzieherset aus den Einkaufstüten. „Hab ich gekauft. Werkzeug, das einzigste, was durch ständiges Benutzen scharf wird.“

Ob der Busfahrer dabei errötet, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, denn jetzt, wo wir über die Dorfstraßen rumpeln, liegt sein Gesicht ebenso im Dunkeln wie das Schild „Bitte nicht mit dem Fahrer reden“. Vorbei geht's an rabattmarkengroßen Edeka-Läden, an Sabines Geschenkeschatulle, an Pizzastuben und Volksbanken, an Damensalons und Autohäusern. Das Kind verfällt angesichts der ganzen Pracht in hospitalistische Schaukelbewegungen, die heftiger werden, als wir das Sun-Go-Sonnenstudio in der Scheune passieren.

Die Idylle macht selbst die kregen Damen ruhig. Ohnehin haben manche schon ihren schaurigen Heimathafen erreicht. Hinter Steimke ist dann vollends Schluß. Niemand sagt mehr was, nur das Radio säuselt ein „Besame mucho“ ins weite dunkle Land. Der Mond scheint, die Sterne, und alle paar Kilometer mal eine Straßenlaterne. Eigentlich wie in Spanien oder sonstwo. Der Gedanke hält aufrecht, zumal wir gerade in Bruchhausen-Vilsen einfahren.

„Sie wollen beide nach Hoya“, wendet sich der Busfahrer ungläubig um. Die letzte Etappe durch baumbestandenes Niemandsland beginnt. Allein zu dritt im Bus. Der Fahrer zündet sich eine Kippe an, als ginge es darum, die Geister fernzuhalten. Ob ich mir besser auch eine anzünde? Die eben noch schlafende Frau verläßt den Bus beim Friedhof von Hoya. Wie machen die Menschen das nur, daß sie so pünktlich aufwachen? Überhaupt, wie kann man hier nur wach werden wollen?

Endlich, der Bahnhof, oder ist es der Reifenservice? „Werden Sie abgeholt“, will der Fahrer wissen. Das hoffe ich, und tatsächlich werde ich gerettet. Auch der Fahrer ist erleichtert: „Na dann schönen Feierabend!“ dah