Mit dem EuGH auf Du und Du
: Vollzeit-Diskriminierung

■ Frauen als Teilzeitarbeiterinnen benachteiligt? Nun soll Europa entscheiden.

Nachdem der Europäische Gerichtshof soeben den Paragraph 4 des bremischen Landesgleichstellungsgesetzes gestürzt hat, müssen sich die zwölf Richter schon wieder mit den Frauen und deren möglicher Diskriminierung in Bremen beschäftigen. Diesmal ist es kein Mann, der gegen den Bremer Senat klagte, sondern eine 42jährige Sachbearbeiterin im gehobenen Dienst der Finanzverwaltung. Bereits im Oktober '92 hatte sie eine verbindliche Auskunft darüber beantragt, ob sie von der Steuerberaterprüfung befreit werden könne. Diese Regelung sieht das Gesetz für die Beamten in der Finanzverwaltung vor, die mindestens 15 Jahre Dienstzeit als SachbearbeiterInnen hinter sich haben und sich als SteuerberaterInnen selbstständig machen wollen.

Diese 15 Jahre kann die Klägerin vorweisen, allerdings nicht als Vollzeit. Im Februar 93 teilte der Senat ihr mit, daß die geleistete Teilzeitarbeit summiert werde, und kam dabei auf knapp zehn Jahre. Die Qualifikationen reichen nicht, um von der Steuerprüfung befreit zu werden, folgerte der Senat.

Am 9. März reichte die Frau die Klage ein: Die Mindesttätigkeitsdauer sei 1972 von 5 auf 15 Jahre angehoben worden, um den Abwanderungstendenzen der Beamten Einhalt zu gebieten. Für die Gesetzesänderung waren folglich keine Gründe der Qualifikation ausschlaggebend. Im übrigen sei sie ebenso qualfiziert wie ihre VollzeitkollegInnen, da diese keine substantiell andere Arbeit leisten, sondern lediglich mehr Aufträge erledigen. Aus diesem Grunde sei sie zeitgleich mit ihren Kolleginnen befördert worden.

Die Klägerin sieht in der Auslegung des Senats einen Verstoß gegen das Grundgesetz, die Ungleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigten gegenüber Vollzeitbeschäftigten sei sachlich nicht gerechtfertigt. Folge man der Ansicht der Behörde, komme für sie eine Befreiung von der Prüfung erst in etwa 8 Jahren in Betracht. Zu diesem Zeitpunkt wäre sie 50 Jahre alt, ein Übergang in den Beruf als Steuerberaterin wäre dann aussichtslos. Die Auslegung des Senats, unterstreicht sie in einem letzten Punkt, verstoße auch gegen das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot.

Eine Auffassung, die das zuständige Bremer Finanzgericht so tief irritierte, daß man dem Europäischen Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung vorlegte: Liegt ein Verstoß gegen Artikel 3 der EWG-Richtlinie von 1976 oder gegen anderes Gemeinschaftsrecht in Form der „mittelbaren Diskriminierung von Frauen“ vor, wenn einerseits das nationale Recht die Teilzeit nicht voll anrechne, andererseits aber von den 119 teilzeitbeschäftigten Beamten des gehobenen Dienstes der bremischen Finanzverwaltung 110 Frauen sind (92,4 Prozent)?

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes könnte von großer Wichtigkeit für alle Frauen sein, denn diese stellen nicht nur im gehobenen Beamtendienst das Gros der Teilzeitbeschäftigten. Allerdings ist erfahrungsgemäß mit einer Entscheidung nicht vor Ablauf von zwei Jahren zu rechnen. Bis dahin ist jener Klägerin auf jeden Fall noch der Weg in die Selbständigkeit verbaut. Sie muß vorerst weiter ihren Dienst in der Finanzbehörde ableisten. dah