■ Die SPD und der Weinbrand
: Noch nie so wertvoll

Heute ist SPD-Parteitag. Die Parteispitze hätte am liebsten aber schon vorgestern die Fortsetzung der Großen Koalition eingetütet. Leuten wie Stahmer, Momper, Böger, Nagel und Staffelt ist es einfach zuwider, jeden morgen von den Kommentatoren von FAZ bis Berliner Zeitung angebettelt zu werden, doch bitte, bitte mit der CDU weiterzukoalieren. Wenn es aber schon der Parteispitze an Selbstbewußtsein mangelt und sie sich keine Zeit zum Nachdenken geben will, droht die heutige Veranstaltung mit 341 Delegierten erst recht eine Zelebration von Zerstrittenheit und Selbstmitleid zu werden.

Vieles deutet darauf hin, daß die Sozis ab dem Wochenende Gespräche mit allen Parteien außer der PDS führen werden. Wobei Gespräche mit Grünen nichts als Schein sind, schließen doch beide Parteien eine rot-grüne Minderheitsregierung aus. Mit der CDU wird dagegen faktisch eine neue Koalition ausgehandelt, denn zum „Kaffeetrinken“ könne man sich wohl schlecht treffen, wie Landesgeschäftsführer Hartung gestern treffsicher feststellte.

Dabei könnte die alte Tante das Gebettel von Wirtschaftslobby, Unionspolitikern, Bundesprominenz und fast der gesamten deutsche Presse zu ihrem Vorteil nutzen. Deren Drängen legt unfreiwillig nahe, wie sich die Niederlage der SPD in einen Sieg verwandeln ließe: die Partei mit dem Spruch „Noch nie so wertvoll wie heute“ zum Asbach Uralt der Politik zu machen. Denn wer so sehr gebraucht wird, muß sich weder Tempo noch Themen aufzwingen lassen. Die SPD-Spitze will aber die Last einer Debatte von ihren Schultern schütteln, in der es um die Suche nach sozialdemokratischen Inhalten gehen würde. Statt dessen muß befürchtet werden, daß etwa die Umfahrung des Brandenburger Tores, das Aufstellen von Parkuhren und das Landesschulamt zum wiederholten Male zu den entscheidenden Fragen der nächsten vier Jahre werden. Heute abend ist SPD-Parteitag. Dirk Wildt

Berichte auf Seite 4 und Seite 22