Weggetreten! Von Jochen Klumpp

Sehen Sie, es gibt Menschen, deren Rücksichtslosigkeit nur noch von ihrer beinahe pflanzenhaften Standhaftigkeit übertroffen wird. Es sind Wesen egozentrischer Maßlosigkeit, kolossale Monumente urbaner Monomanie. Ihr vorzüglicher Daseinszweck scheint in der Verhinderung reibungslosen Fortkommens zu bestehen. Unser Alltag ist durchsetzt mit diesen Individuen.

Lange schmale Einkaufsstraßen, vorzugsweise Fußgängerzonen an verkaufsoffenen Samstagen sind eine ihrer Vorlieben. Kaum hat man als zielorientierter Einkäufer Tritt gefaßt, stehen sie einem im Weg, stören den Rhythmus oder bringen jegliche Bewegung mit einem Schlag zum Erliegen. In einer besonders heimtückischen Variante gehen sie in gerade noch akzeptablem Tempo vor ihrem Opfer, um dann abrupt und vollkommen unmotiviert stehenzubleiben, ja, förmlich zu erstarren.

Scheinbar ins Gespräch vertieft, in angebliche Nachdenklichkeit versunken oder demonstrativ flanierend bevölkern sie stundenlang Kolonnaden, Einkaufszentren und luxuriöse Passagen. Sie kichern entschuldigend leise, wenn man sich beim Ausweichen im letzten Moment das Seidenjackett rückwärtig am Rauhputz ruiniert. Bleibt man bei der Vollbremsung mit dem Auge an einer Regenschirmspeiche hängen, wird dies mit einem angedeuteten Achselzucken quittiert.

An Rolltreppen treten sie gern paarweise an, um sich auf der ersten Stufe doch für ein anderes Stockwerk zu entscheiden oder schnell noch einmal einen Blick auf die Infosäule zu werfen. Beim Metzger oder an der Aufschnitt- Theke verhören sie die Verkäuferin minutenlang über den Unterschied zwischen feiner und grober Teewurst. Und geben sie endlich ihre Bestellung auf – dann sind es natürlich nur jeweils zwei Scheibchen Rinderbraten, Pastrami oder Corned Beef und 75 Gramm Leberwust. Freilich senken diese Kunden am Ende des letzten Satzes arglistig die Stimme, um dem geduldig wartenden Hintermann den Abschluß des Geschäfts zu suggerieren. „Sie können doch sicher Kleingeld gebrauchen?“ flöten sie dann leutselig, kramen unter mehrmaliger Betrachtung jeder einzelnen Münze einen Betrag von 6,57 Mark hervor, ohne auch nur ein Silberstück zu verwenden, und erkennen im letzten Moment bedauernd das Fehlen zweier Pfennige.

Trifft man sie im angrenzenden Supermarkt wieder, geben diese Leute ausgerechnet in der Schlange der Express-Kasse („maximal 7 Artikel“) die Metzgeranekdote zum besten – um es dann nochmal mit dem Kleingeld zu versuchen.

Man fragt sich, wie diese Leute überhaupt dort hinkommen, wo sie sind. Ob dem eine horizontale Dynamik zugrundeliegt oder nicht vielmehr ein physikalisches Phänomen, dem Aus-dem-Boden- Schießen von Pilzen ähnlich. Diese skrupellosen Wesen mit dem luziden Lächeln eines Firmlings sind es, die unsere atavistischen Energien ruinieren. Eines Tages werden diese Zeitlupengenossen die Welt zum Stillstand bringen. Dann wird sein ein lautes Räuspern der Verlegenheit und nervöses Füßescharren. Aber endlich – endlich wird der Planet lautlos durchs Weltall sausen. Ungerührt und unbehindert.