Lücke auf dem Bildschirm

Eigenbrödlertum, kalifornischer Gleichmut oder Konzeptkunst? In Stuttgart wird eine Retrospektive des Malers John Baldessari gezeigt  ■ Von Martin Pesch

Dumm wie ein Maler“ ist eine in Frankreich geläufige Redewendung. Sie wurde in den späten sechziger Jahren zur Kampfparole der sich gerade formierenden und in theoretischen Schriften artikulierenden US-amerikanischen Konzeptkünstler. Pinsel, aufzutragende Farbe und Leinwand galten als Insignien, an denen man erkennen konnte, auf welcher Seite ein Künstler stand – auf der Seite der Dummen oder der des Intellekts.

John Baldessari wäre von dieser Rigorosität und Ausschließlichkeit der Konzeptkunst abgeschreckt gewesen, hätte er denn von ihr gewußt. Tatsächlich arbeitete der West-Coast-Künstler damals in einer solchen Isolation, daß seine Kunst ohne Kenntnis der New Yorker Szene entstand, die ihre Weigerung als Neuanfang der Kunst dachte. Was von heute betrachtet an Baldessaris Arbeiten wie lupenreine Konzeptkunst aussieht, hatte mit dem damals hoch gehandelten Begriff nichts zu tun. Bezeichnenderweise konnte er zu dieser Zeit in der gleichen Straße wie Joseph Kosuth ausstellen, ohne daß sich die beiden Künstler kannten – obwohl Kosuths Aufsatz „Art after Philosophy“ bereits als grundlegend für das Verständnis der besagten concept art galt.

Die Bilder, die Baldessari 1969 bei dieser Ausstellung in Los Angeles zeigte, waren schlichte Gemälde, mit Pinsel, Farbe und Leinwand hergestellt. In englischer Sprache sind darauf allerdings Sätze zu lesen wie „Alles ist diesem Gemälde entzogen bis auf die Kunst, keinerlei Ideen sind in dieses Werk eingedrungen.“ Baldessari ließ diese Sätze von einem gelernten Schildermacher auftragen, außer dem Slogan ist nichts weiter auf der Leinwand zu sehen. Damit wollte er sich von der Chimäre lossagen, Kunst besage etwas über den Künstler und die Welt. Und Baldessari sagte sich auch los von der Doktrin, wenn sich in der Kunst schon nicht der Künstler und seine Sicht der Dinge ausdrückt, dann soll sie wenigstens etwas über sich selbst sagen. Seine Kunst sagte erst mal nichts. Sie war nichts, wie die Arbeit „Cremation Projects“ von 1970 schön veranschaulicht. Konsequent verbrannte Baldessari dabei alle von ihm zwischen Mai 1953 und März 1966 gemalten Bilder, verstaute die Asche in einem Karton, ließ eine Grabplatte anfertigen und sich die Zerstörung notariell beglaubigen. So blieb eine Lücke im Werk, eine Aussparung, auf die sich Baldessari fortan immer wieder beziehen konnte.

„Mein Hintergrund ist der eines Malers und nicht der eines Fotografen.“ Auch sein Diavortrag zur Stuttgarter Retrospektive begann mit der Biographie. Einerseits macht dieser Hinweis die Stringenz einer bestimmten Haltung deutlich, die trotz Fotoarbeiten in den siebziger Jahren wieder zur Malerei zurückkehrt. Andererseits beschreibt das Statement den Versuch, einen nur der Malerei möglichen Zugriff auf die Darstellung der Welt innerhalb aller Medien zu forcieren, die Bilder liefern: Fotografie, Film, Video.

In der Ausstellung äußert sich dieser Zugriff in Übermalungen, aber hauptsächlich in den der Filmästhetik entlehnten Techniken Schnitt und Montage. Insbesondere die Arbeiten der achtziger Jahre deklinieren diese Techniken durch. Da sich Baldessari immer noch im formalen Rahmen des Tafelbildes bewegt, hat der Betrachter nicht wie beim Film die Möglichkeit, die zueinander montierten, disparaten Stücke in chronologischer Folge wahrzunehmen, sondern ist ihnen immer in ihrer Montiertheit und ihrer Gleichzeitigkeit ausgeliefert. Die Beziehung, die sich derart zwischen den Fragmenten entwickelt, ist deshalb hochgradig von der Wahrnehmung der Rezipienten abhängig.

Es sind unbestimmte Bilder, mit denen Baldessari arbeitet. Von den Fotos, die er selbst aufnimmt, mag er die am liebsten, die beim Vorspulen des Films nach dem Einlegen entstehen. Der Hauptanteil der ausgestellten Fotos entstammt aber B-Filmen aus Hollywood. Der Kalifornier arbeitet dabei mit offiziellen Standfotos oder auch mit Aufnahmen, die er direkt vom TV-Schirm macht. Der dritte Typ sind Fotos aus Zeitungen und Magazinen. In den Arbeiten werden diese Fotos, deren Herkunft aus anderen Medien durchgängig sichtbar bleibt, miteinander kombiniert. Wichtig ist dabei immer die Frage des Rahmens. Manchmal sind verschiedene Fotos in einem Rahmen zusammengefaßt, manchmal ist jedes Foto eigens gerahmt und die Rahmen sind in bestimmter Weise zueinandergestellt.

Vor jeder dieser Arbeiten steht man aufgrund der Disparatheit ihrer Teile erst mal ohne Verständnis, bis sich allmählich ein Gefühl dafür entwickelt, wie Baldessari montiert und wie er die Montage für die Arbeit an den unterschiedlichsten Themen nutzt. Daß er keine Antworten mag, ist ein bekannter Ausspruch von ihm und Hinweis auf die prinzipielle Offenheit seiner Arbeiten. Im Unterschied zu historischen Vorgängern, die das Prinzip der Montage nutzten, um aus zwei disparaten Teilen die eigentliche intendierte Aussage zu gewinnen, unterläuft Baldessari dieses Ziel immer wieder. In der Arbeit „Inventory“ (1987) etwa. Über ein Farbfoto – offensichtlich in einem KZ aufgenommen –, das von einem Lastanhänger mit Leichen beherrscht wird, sind zwei Schwarzweißfotos montiert, die vollgepackte Regale eines Supermarkts zeigen. Auf einem dieser Fotos sind auch Kunden zu sehen. Die auf den ersten Blick eindeutige Aussage – die Obszönität des Überflusses angesichts des menschlichen Elends – wird unterlaufen durch die Anwesenheit zweier in die oberen Fotos montierte Schemen menschlicher Figuren. Eine ist schwarz, die andere gelb. Eine dieser Figuren zeigt einer lachenden Kundin anscheinend den Weg, die andere greift nach Ware. Diese zwei Figuren, deren Rolle und Funktion unklar bleibt, könnte man als Agenten begreifen, die den einmal gefaßten Gedanken immer wieder als vorläufigen markieren.

Wahrscheinlich ist es nicht abwegig, es dem südkalifornischen Klima zuzuschreiben, daß Baldessaris Konzeptkunst-verwandter Ansatz immer wieder Arbeiten zuläßt, die diesen selbst mit einem Lachen in Frage stellen. Das Foto des toten Löwen mit dem spitz darauf zulaufenden Foto eines tauchenden Pelztiers mit „The Soul returns to the Body“ (1987) zu betiteln, ist ein Beispiel. Klares Konzept, unklare Ergebnisse – stenographisch ist das stetig durchgespielte Grundgedanke. Vier orangerote Bälle in die Luft werfen und sie so zu fotografieren, daß sie die Ecken eines Quadrates bilden – das ist ein klares Konzept. Unklar sind die in der Arbeit „Throwing four Balls in the Air to get a Square“ (1986) gezeigten „besten von 36 Versuchen“, weil sie nie das intendierte Ideal erreichen.

John Baldessari: „This Is Not That“. Bis 19. 11., Württembergischer Kunstverein, Stuttgart