Von der Haremsdame zur grauen Maus

Klischeevorstellungen prägen auch in linken und feministischen Veröffentlichungen das Bild der Musliminnen. Irmgard Pinn und Marlies Wehner untersuchten, wie westliche Medien Frauen im Islam darstellen  ■ Von Edith Kresta

„Während man sich hierzulande wohl wundern würde, erschiene in Syrien, Pakistan oder Tunesien eine Dokumentation zur Lage christlicher (westeuropäischer) Frauen auf der Quellengrundlage von Bibel, Grimms Märchen, einem Interview mit Alice Schwarzer und dem Förderungsantrag eines beliebigen Frauenhauses, ist es durchaus üblich, auf vergleichbarer Basis über die Stellung der Frau im Koran und der islamischen Gesellschaft zu schreiben“, wundern sich nun ihrerseits Irmgard Pinn und Marlies Wehner. Was dabei herauskommt, haben sie in ihrem Buch „EuroPhantasien – die islamische Frau aus westlicher Sicht“ untersucht.

Die Artikel und Publikationen zum Thema „Frau und Islam“ quer durch die Medienlandschaft zeigen sich in ihrem Grundkonsens erstaunlich einhellig. Fazit der Autorinnen: „Es gibt kaum Unterschiede zwischen in der Boulevardpresse erschienenen Artikeln à la „Nicht ohne meine Tochter“ (Betty Mahmoody) und seriösen Publikationen einschließlich solchen mit linkem oder feministischem Anspruch.“ Klischeebilder prägen auch in linken, feministischen und internationalistischen Kreisen das Bild der Musliminnen. Allüberall sorgt man sich um die bedauernswerten Geschöpfe unterm Schleier.

War früher die verführerisch- exotische Haremsdame das Stereotyp der westlichen Orientreisenden, ist es heute die ihre Reize verhüllende Muslimin, die graue Maus. Das Bild des sinnlichen, verführerischen Orients wurde vom Schreckensbild des fanatischen, freudlosen Fundamentalismus verdrängt. Von links bis rechts herrscht Konsens: Der Fundamentalismus und mit ihm die Verschleierung der Frau steht für Repression, Rückständigkeit, Irrationalität und Gewalt.

Das tut er in vielen Fällen sicherlich auch. Die Autorinnen leugnen dies nicht. Sie wollen „die vielfältigen Formen von Unterdrückung und Mißachtung von Frauen in islamischen Gesellschaften bzw. den Versuch, den Islam für reaktionäre Ziele zu instrumentalisieren“, nicht schönreden. Dennoch widersprechen sie der schlichten Etikettierung des Islam als grundsätzlich frauenfeindlich.

Seit Jahren engagiert sich beispielsweise Emma als unerschrockene Anwältin unterdrückter türkischer Gastarbeitermädchen. Dabei gehe es, so die Auswertung der Autorinnen, nie wirklich um die Auseinandersetzung mit „türkischen“ Werten – die gelten per se als männerbestimmt reaktionär. Wohlwollend kommentiertes Ziel des journalistischen Engagements sei vielmehr die möglichst reibungslose Anpassung der türkischen Mädchen an unsere aufgeklärte Kultur.

Wo aber schon die geringste Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit anderen Lebensformen und Lebensentwürfen fehle, würden die Mädchen in ihren Sozialisationsmustern mißachtet. Ob sie wollen oder nicht: Um hier Anerkennung zu finden, müssen sie mit dem türkischen Teil ihrer Geschichte brechen.

Die Botschaft in wissenschaftlichen Abhandlungen, Kinderbüchern, Romanen oder feministischen Reportagen ist nach der Untersuchung der Autorinnen stets dieselbe: „Sie wollen sein wie wir. Sie beneiden uns. Ließe man sie, so würden sie auf der Stelle Kopftuch und Mantel von sich werfen.“ Und was, wenn sie es nicht wollen? Dann wird die Schreckensherrschaft der Männer beschworen, die sie zwingen. Oder sie werden als ewig Uneinsichtige mit Häme bedacht.

Das Feindbild „Fundamentalismus“ hat Hochkonjunktur. Unter dieses Verdikt fällt tendenziell jede irgendwie geartete Verbindung von sozialer und politischer Ordnung mit der islamischen Religion. Bestes Beispiel ist die jüngste Diskussion um die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an die Islamwissenschaftlerin Annemarie Schimmel. Alles was mit Islam zu tun hat, bekommt schnell ein Etikett angehängt. Das Codewort heißt „Fundamentalismus“. Und dieser steht dann für ein bestimmtes Welt- und Geschichtsverständnis, das im einzelnen nicht mehr hinterfragt werden muß. So werden Frauen, die wie ihre Mütter und Tanten das Kopftuch tragen, zu Feindinnen von Demokratie und Menschenrechten. So werden islamische Länder, die sich in Staatsform, Bindung an die Religion, ökonomischer Lage und Tradition stark voneinander unterscheiden, zum monolithischen Block, zur Einheitsfront „Islam“.

Unkritisch, so die Autorinnen, wird als islamisch bezeichnet, was durch soziale, kulturelle und historische Einflußfaktoren bestimmt ist. Unter dem Codewort „Fundamentalismus“ verorten sich, nach ihrer Meinung, auch JournalistInnen und WissenschaftlerInnen: „Es erspart die Mühen sorgfältiger politischer und gesellschaftlicher Analysen und liefert fertige Interpretationsmuster“ – „Fundamentalismus“ als Interpretationsschablone.

So braucht man sich auf die anderen Gesellschaften nicht groß einzulassen. Warum auch? Die Haltung gegenüber dem Islam und den Vorgängen in islamischen Ländern ist nach Meinung der Autorinnen geprägt durch ein evolutionistisches Geschichtsverständnis: „Das Abendland ist die Avantgarde der Menschheit.“ The West is the best! Ideale wie Individualität und Selbstbestimmung, Demokratie und Menschenrechte werden staatlich sanktionierten Zwängen in muslimischen Ländern gegenübergestellt. Und so werden im Westen fast nur solche „ExpertInnen“ aus islamischen Ländern gehört, die sich zum westlichen Gesellschaftsmodell bekennen, konstatieren Pinn und Wehner.

Die Berücksichtigung der Tatsache, daß im Namen des westlichen Universalismus gerade in Ländern der Dritten Welt häufig sehr partikulare Interessen vertreten werden und wurden, daß das Mißtrauen gegenüber importierten Modellen nicht unbegründet ist, vermissen die Autorinnen in der Auseinandersetzung. Vor dem Hintergrund ökonomischer und kultureller Dominanz wird Differenz schnell zum Defizit. Mit dem Fundamentalismus im Nacken und den verschleierten Frauen im Visier kommt die eigene kulturelle Potenz wunderbar zur Geltung.

Pinn und Wehner bürsten erfrischend polemisch festgefahrene Meinungen und Interpretationsmuster gegen den Strich. Ihre Analyse ist längst fällig. Ein Gewinn. Da sie die überall georteten Klischeebilder nur sehr allgemein an der „wirklichen“ Realität in islamischen Ländern messen, droht ihr eigener Blick allerdings manchmal ins Leere zu schweifen und sich im schlichten Kulturrelativismus zu verlieren. Doch schließlich ist ihr Thema nicht, wie es in islamischen Ländern „wirklich“ zugeht, sondern wie unwirklich sie hier wahrgenommen werden. Sie outen Denkblockaden. Und die geben zu denken.

Irmgard Pinn/Marlies Wehner: „EuroPhantasien – die islamische Frau aus westlicher Sicht“. Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung, 1995, 29,80 Mark