■ Das Portrait
: Haitis Radikale

Noch vor einem Jahr galt die heute 49jährige Soziologin als zu radikal für Haiti. Als der frisch zurückgekehrte Präsident Jean-Bertrand Aristide seinerzeit den Namen Claudette Werleigh als neue Premierministerin ins Spiel brachte, schüttelte Haitis Unternehmerschicht den Kopf – und auch die internationalen Geldgeber zeigten sich wenig begeistert von der Nominierung Werleighs.

Als dann die Gefahr bestand, die Berufung der streitbaren Linken könnte Aristide seine gesamte finanzpolitische Mannschaft kosten, wurde dann doch der bürgerliche Geschäftsmann Smarck Michel an die Spitze des neuen Kabinetts geholt – die linke Werleigh wurde Außenministerin. In gleicher Funktion hatte sie auch schon dem Interimskabinett Robert Malvals angehört.

Aber die Regentschaft Smarck Michels hielt nicht lange. War der Unternehmer aus dem ersten Kabinett Präsident Aristides 1991 schon nach nur 60 Tagen als Handelsminister wieder ausgeschieden, weil er mit Aristide in zentralen Fragen nicht übereinstimmte, hatte er es als Premierminister jetzt immerhin ein Jahr ausgehalten – vor gut zwei Wochen erst veranlaßten ihn Meinungsverschiedenheiten mit Aristide, vor allem aber mit dem Parlament, zum Rücktritt: Die Abgeordneten verweigerten ihrem Premierminister eine Reise nach Washington, wo Michel mehrere Kreditabkommen mit dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank über rund 100 Millionen US-Dollar hätte unterschreiben sollen. Die Abgeordneten lehnten die mit den Krediten verbundenen Auflagen ab.

Claudette Werleigh, neue Regierungschefin Haitis Foto: AP

Gestern nun war es soweit: Nach dem Senat Haitis sollte auch das Abgeordnetenhaus die Ernennung Claudette Werleighs zur neuen Premierministerin bestätigen. Ihre größte Aufgabe: Sie muß Präsidentschaftswahlen organisieren und dafür Sorge tragen, daß Haitis Übergang zur Demokratie auch dann friedlich weitergeht, wenn der populäre Aristide nicht mehr alle Fäden zusammenhalten kann.

Es ist die Frage, ob Werleigh das kann. In ihrer Grundsatzrede vor dem Senat am Sonntag sprach sie von der Bekämpfung des Analphabetentums, von Landreform und Sozialprogrammen, vom Kampf gegen Korruption und Ungerechtigkeit. All das aber braucht Geld. Und was dem Währungsfonds so wichtig ist, etwa die Privatisierung von Staatsbetrieben, das sieht Werleigh nach wie vor eher kritisch. Bernd Pickert