Berliner SPD liebt Symbolismus

■ Der Landesparteitag wird möglicherweise den Rücktritt der SPD-Senatoren fordern. Es wäre eine Geste ohne Bedeutung

Einen Tag vor dem heutigen Sonderparteitag war sich der SPD- Landesgeschäftsführer der Berliner SPD sicher. Bereits an diesem Wochenende, verkündete gestern Rudolf Hartung vor der Presse, werde seine Partei mit der CDU Gespräche aufnehmen.

Während die Parteispitze nach der Wahl vom 22. Oktober insgeheim zur Großen Koalition drängte, probten Teile der Kreisverbände den Aufstand. Auf Druck linker Kreisverbände sah sich die Antragskommission letzte Woche genötigt, einen Passus aufzunehmen, der den Rücktritt der fünf SPD-Senatoren zum Ende der Legislaturperiode am 30. November nahelegt. Auf das widerspenstige Aufflackern der frustrierten Genossen folgte rasch die harsche Reaktion der Betroffenen. Außer Wirtschaftssenator Norbert Meisner, dem ohnehin kaum noch Chancen in einem neuen Senat eingeräumt werden, wollte keiner sein Amt aufgeben.

Um den Zorn der 341 Delegierten, die heute möglicherweise über den Antrag abstimmen werden, ein wenig zu mildern, schlugen sie dem Regierenden Bürgermeister ihrerseits vor, doch den Senat in Gänze zurücktreten zu lassen.

Der Schlingerkurs der Senatoren ist symptomatisch für das Gebaren der Partei. Selbst wenn die Senatoren sich doch der Basis fügen sollten, bliebe ihr Rücktritt nichts weiter als eine symbolische Geste. Nach der neuen Berliner Verfassung könnten sie auf „Verlangen“ weiterhin zur Geschäftsführung verpflichtet werden.

Die Pirouetten der SPD verschafften der Verwaltung des Abgeordnetenhauses derweil ungeahnte Arbeit. Eifrig wurden die Rechtsbücher gewälzt, weil die Verfassungsklausel selbst zu allerlei Spekulationen einlädt. Müßte nun Diepgen selbst die SPD-Senatoren nach einem Rücktritt gegen den Willen des Landesparteitages zur Räson rufen? Gestern nun schienen die Experten ein wenig Licht ins Paragraphendunkel getragen zu haben. Man gehe davon aus, daß der Präsident des Abgeordnetenhauses und nicht der Regierende Bürgermeister zurückgetretene Senatoren zur Geschäftsführung verpflichte, ließ die Pressestelle des Abgeordnetenhauses verlauten. Wie auch immer: Der Rücktritt, der einer Öffentlichkeit ohnehin kaum zu vermitteln ist, wäre nicht mehr als Balsam für die strapazierten Seelen der SPD-Basis. In der Realität hätte er gar keine Folgen. Denn nach der Verfassung bleibt ein Senat so lange im Amt, bis ein neuer gewählt ist.

Die Rücktrittsformel ist nicht mehr als Zuckerbrot für jene Teile der Partei, die den Ausstieg aus der Großen Koalition fordern, aber beim Wie kaum über Denkübungen hinausgekommen sind. Doch die vertrackten Tolerierungsmodelle scheinen die SPD-Mitglieder kaum zu überzeugen. Rund ein Drittel der 341 Delegierten des heutigen Sonderparteitages, so eine Umfrage der Tageszeitung Die Welt, ist unentschieden, etwa ein Drittel will die Große Koalition, genauso viele aber Opposition. Severin Weiland