Tod einer Lebenswelt

■ Ein Buch und eine Fotoausstellung rekonstruieren den ehemaligen Hamburger Stadtteil Neuhof

Neuhof ist schon lange verschwunden – jener Stadtteil gegenüber Altona am Köhlbranddeich, der wenige Jahre nach dem Bau der großen Brücke 1979 unnötigerweise abgerissen wurde. Dort, wo heute Ödnis und Leere gähnt, hatten sich die Neuhöfer in dem 1914 gegründeten Stadtteil einst überaus wohl gefühlt. Und das ist nicht verwunderlich: Stadtplaner attestierten der Insel im Hafen eine einmalige Urbanität.

Das Buch Neuhof – das andere Hafenleben, vom Verschwinden eines Ortes versucht sich jetzt an der Rekonstruktion dieser spezifischen Lebenswelt: Das reicht von einer detaillierten Inselchronik über eine Fotoserie, von Tagebuchaufzeichnungen ehemaliger Bewohner über eine kritische Analyse der Stadtplanung Hamburgs mit dem Tenor: Neuhof hätte nicht fallen müssen. „Neuhofs Untergang steht für jene, groß angelegte Politik der Wirtschafts- und Stadtentwicklung, die glaubt, wirtschaftlichen Wohlstand nur auf Trümmern gewachsener Strukturen auftürmen zu können.“

Beim Lesen setzt sich das Bild einer Lebenswelt zusammen, die in ihrer Überschaubarkeit intakt war. Um die Jahrhundertwende gab es dort vier Lotterieclubs, fünf Sparclubs und drei Pfeifenclubs, nicht zu vergessen das 1912 in einem Kuhstall eingerichtete Kino. Neuhof entwickelte sich von einer Fischerinsel zum Werftarbeiter-Wohnort und fiel letztlich der Hafenerweiterung und Verkehrsplanung zum Opfer.

Dabei haben die Herausgeber von der Geschichtswerkstatt Wilhelmsburg gut daran getan, vornehmlich ehemalige Bewohner zu Wort kommen zu lassen. So erhält man lebendige Eindrücke des Lebens auf „Klein Moskau“, wie der Stadtteil in den 20er Jahren, als die Kommunisten die stärkste Fraktion stellten, genannt wurde.

„Die Hübner wollten sie abholen, sie war Kommunistin. Sie wohnte im ersten Stock in dem neuen Häuserblock. Wir nannten sie mit Spitznamen Rosa Luxemburg. Als sie sie abholen kamen, ist sie hinten mit der Leiter aus dem Fenster gestiegen, und weg war sie. Aber auf Neuhof konnte man später nicht mehr entkommen, denn plötzlich gab es viele Nazis.“ Aufgezeichnet hat diese Erinnerungen der ehemalige Neuhof-Bewohner John Matthies in seinem Tagebuch.

In der Honigfabrik hängt parallel zu der Publikation eine Fotoaustellung. Sehenswert sind die Fotos von Arbeiten der Vulcan-Werft – später Howaldt-Deutsche Werft AG. Wie Stilleben wirken die Abbildungen von Nietern, die zur Aufgabe hatten, die riesigen Eisenplatten für das „Imperator“, dem einst größten Passagierschiff der Welt, zu vernieten.

Kai Mierow

Neuhof – das andere Hafenleben; Dölling und Galitz Verlag; 160 S., 32 Mark Ausstellung: Honigfabrik, Wilhelmsburg, noch bis zum 15.12.