Utopie in greige

■ Mehr Lebensfreude im Büro durch „Nomadendesign“: Anregungen & praktische Tips einer Ergonomie-Expertin

Ein ganz normaler Morgen im Büro, es ist Punkt Neun, der Chef schaut herein – und kein Mensch da. Längst sitzen die MitarbeiterInnen in ihren Zelten am Wümme-ufer. Bequem auf ihre hölzernen Stehpulte gestützt, gutgelaunt den ersten Botschaften aus dem filzbeschlagenen Faxgerät entgegenblickend. So entspannt könnte das Büroleben sein – ließe man nur Barbara Tietze ran. Die Berliner Professorin ist nämlich Expertin für Ergonomie, Gegnerin des „DIN-gerechten Großraumbüros“ und, was wichtiger ist, auch praktisch veranlagt. In ihrem „Nomadenbüro“, derzeit in der Bremer Angestelltenkammer aufgebaut, zeigt Tietze ihr selbstgebautes Mobiliar für das Büro von Morgen.

„Nichts fürchten die Herrscher über künstliche Bürowelten mehr, als daß ihre Untertanen einfach aufstehen und weggehen“, sagt Tietze. Daher die massiven Bürogebäude, daher die fest umrissenen Vorschriften: keine Topfpflanzen, keine allzu bunten Poster, überhaupt bloß nichts allzu Persönliches am Arbeitsplatz. Das Design, klagt Tietze, hat sich diesem „Zwang zur Seßhaftigkeit“ allen Bürolebens angepaßt. Wo ist der Gestalter, der zumindest mal ein farbiges Faxgerät entwirft? Stattdessen „erfindet man eine Palette von Unfarben, die zusammengenommen den Farbton ,greige' bilden und die Geräte des Büros in eine elefantöse Landschaft beleidigenden Ausmaßes verwandeln“.

Dagegen hat die Professorin was. Zum Beispiel ein Faxgerät, das nicht in „greige“ getönt ist. Sondern mit Filz überzogen. Bzw. liebevoll umwickelt, wie fast alle Geräte in Tietzens „Nomadenbüro“. Darunter steckt zwar nach wie vor Hi-Tech. Die die Filzhaut aber soll das Wohlgefühl der FaxbedienerInnen steigern: „Es schafft ein humanökologisches Binnenklima. Filz schirmt gegen widrige Oberflächen, Wetter, Stäube und elektrostatische Ladungen ab.“ Da lag es nahe, auch den Computerbildschirm komplett einzuwickeln.

Tietzens „zeitlose Ästhetik“ soll freilich mehr sein als nur eine irgendwie natürliche zweite Haut über den Bürogeräten. Die „neue Ergonomie“ bedeutet auch: neue Haltungen einnehmen und dann die passenden Arbeitsgeräte bauen. Machen wir's wie die Massai, schlägt Tietze vor: statt mit gramgebeugtem Rücken am Schreibtisch zu hocken, sollten wir aufstehen und am Stehpult arbeiten, und zwar „im einbeinigen Stehen im Massai-Stil“. Die ostafrikanischen Jäger und Sammler stützen sich bekanntlich lässig auf ihren Speeren ab. Auf den langen Stützen des neuen Nomadenstehpults könnten wir das gleiche tun, sagt Tietze.

Alles Sophisterei, alles Utopie? Die Professorin sieht schon deutliche Zeichen für die dräuende Nomadenkultur: „Ein Arbeitsnomade ist auch der erfolgreiche Manager. Kein amerikanischer Top-Manager würde sich mehr am Schreibtisch fotografieren lassen“ – lieber locker auf der Tischkante hockend, oder sonstwo unterwegs in der Welt, mitsamt des elektronischen Nomadengepäcks. tw

bis 23.11., Bürgerstr. 1