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Im County Jail von Sheriff Joe Von Andrea Böhm

Eine Geschichte aus dem Wilden Westen. Es war einmal ein ... Falsch. Die Geschichte spielt nicht in der glorifizierten Vergangenheit, sondern in der Gegenwart. Also noch mal von vorne: Es gibt in Arizona – in Maricopa County, südlich von Phoenix – einen Sheriff namens Joe Arpaio, der gerne in die von Gangstern geplagte Stadt einreiten und so richtig aufräumen möchte. Weil aber der Einsatz von Blei und Fäusten mittlerweile einem gewissen Maß an gesetzlicher Regulierung unterliegt, die manche als rechtsstaatliche Errungenschaften, andere als scheißliberalen Humbug bezeichnen, muß Sheriff Arpaio seine Law-and-Order- Mission mit anderen Mitteln durchführen. Wer immer bei ihm im County Jail landet – so schwor er sich bei seinem Amtsantritt vor zwei Jahren – soll dieses Erlebnis in bleibender Erinnerung behalten. Deswegen läßt er seine knapp 6.000 Insassen an die Kette legen und in Armeezelten aus dem Koreakrieg im Freien kampieren.

Dabei ist er weniger an der Frischluftzufuhr für die Häftlinge interessiert als vielmehr an der glühenden Hitze, die jeder Tourist bezeugen kann, der im Sommer am Grand Canyon die Nase aus dem klimatisierten Bus gesteckt hat. Zigaretten, Kaffee und Fernsehen sind verboten – bis auf CNN-News und Videoseminare über die „Wiederbelebung der amerikanischen Ziviliation“ – eine zehnteilige Vorlesung des selbsterklärten Führers der „republikanischen Revolution“, Newt Gingrich. Das US-Justizministerium ermittelt inzwischen gegen Sheriff Joe wegen des Verdachts auf Verstöße gegen die Bürgerrechte, was ihn aber nur zu einem markigen „Na und?“ veranlaßt. Gefängnisinsassen haben Bürgerrechte? Wo steht denn so was?

In der US-Verfassung. Achter Zusatzartikel. Aber die Verfassung ist wie so vieles, was mit der allseits verhaßten Institution des Bundesstaates in Zusammenhang gebracht wird, kein besonders beliebtes Schriftstück. Auch kann Sheriff Joe der Solidarität vieler Bürger sicher sein. In Alabama hat der Gouverneur gerade durchgesetzt, daß Insassen wieder in Fußketten im Steinbruch schuften müssen. In sechs Bundesstaaten wird derzeit die Einführung der Prügelstrafe diskutiert. Und im US-Kongreß wetteifern Demokraten und Republikaner um den Titel des größten Peitschenschwingers. Das Essen soll schlechter, TV verboten, die Gefängnisarbeit auf 48 Stunden pro Woche erhöht, mehr Knäste gebaut werden. Rund 1,5 Millionen US-Bürger sitzen derzeit hinter Gittern. Das entspricht einer Steigerung von 100 Prozent in zehn Jahren – obwohl die Kriminalitätsrate seit einigen Jahren nach unten zeigt. 20 Milliarden Dollar haben die Steuerzahler im letzten Jahr für den Strafvollzug bezahlt. Jetzt soll gespart werden: vor allem an Schul- und Berufsbildungsprogrammen und all den anderen „Luxusgütern“, die Knackis in den USA genießen. Schäumend zitieren die Hardliner das Urteil eines Bundesgerichts, in dem dreizehn Gefängnisse in North Carolina dazu verdonnert wurden, ihre Insassen mit je einem Schlagzeug, drei Gitarren und fünf Frisbees auszustatten. Was Sheriff Joe betrifft, so steht ihm womöglich noch Großes bevor: Der republikanische Präsidentschaftskandidat Phil Gramm möchte ihn im Fall seines Wahlsieges mit der Leitung aller Bundesgefängnisse beauftragen.

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