■ Hermann Götting hat seine Memoiren geschrieben
: Mutter Teresa der Phonotruhen

„Der Hut ist von Soraya!“ Wohlgefällig betrachtet Hermann Götting ein blaues Kapotthütchen, das mit weißen Federn verziert ist. Ein Freund hat es gerade vorbeigebracht. „Das muß irgendeine von den Schachteln hier aufhaben!“ sagt Götting mit Blick auf die Damen in seinem Salon. Die blicken indigniert, aber das tun sie immer – es sind Schaufensterpuppen. Gegen den Hausherrn sehen sie ganz schön alt aus. Götting hat seinen stattlichen Körper in ein bodenlanges, schwarzes Gewand gehüllt, halb Abendkleid, halb Soutane; auf dem Kopf trägt er einen ausladenden Dreispitz; die Fingernägel der Linken hat er knallrot lackiert. Eine Kreuzung aus Heinrich dem VIII. und Mutter Teresa.

Götting ist Exzentriker und Sammler, er gilt als der „schrillste Typ“ Kölns. Jetzt hat der Mann, der die Bezeichnung „Original“ als Begriffszwangsjacke rundheraus ablehnt, seine Memoiren geschrieben. Herausgegeben wurden sie von dem Berliner Hörfunkjournalisten Uwe Jahn.

Seit Jahrzehnten trägt Hermann Götting Alltagskultur zusammen. Es fing an mit Nierentischen und Tütenlampen und hört mit Phonomöbeln, Neonreklamen (160 Stück!) und kompletten Friseursalons nicht auf. Mehr als 10.000 Objekte hat er gehortet. Die drei Lagerräume, die ihm die Stadt zur Verfügung gestellt hat, sind bis zum Bersten gefüllt. Aber Sammeln ist eine Sucht. Göttings größte Trophäe ist das tonnenschwere „4711“-Emblem, das er vom Kölner Messeturm rettete, bevor es ausgemustert und zerstört worden wäre. Eine heroische Aktion bei „Windstärke sieben“. Daß der Autor nicht so leicht wegzupusten ist, suggeriert auch der Titel des Buches: „Die Figur dazu hab ich.“

Die schwerste Last, die ihm aufgebürdet wurde, war die uneheliche Geburt. Götting kam kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs in der hessischen Stadt Haiger zur Welt. Unehelich – das war damals noch ein Stigma. Hermann wurde von den anderen Kindern gehänselt und flüchtete sich in eine Traumwelt. „Mein kleines Zimmer wurde zum Rückzugsort, ich beschäftigte mich mit den Sachen, die ich schon damals zu sammeln begonnen hatte.“ Ein kleiner Dekorateur.

Ein Kindertraum erfüllt sich Götting, als er Ende der 50er Jahre Straßenbahnschaffner in Siegen wird. In der Straßenbahn macht er die ersten Bühnenerfahrungen als Alleinunterhalter: „Ich spielte die Hauptrolle, die Fahrgäste waren Publikum und Statisten zugleich.“ In Köln spielt Götting die Rolle weiter, doch der Vorhang fällt 1968: Die Kölner Schaffner werden wegrationalisiert.

Schnell findet Götting eine neue Bühne. In Nachtbars, Travestie- und Varietélokalen heuert er als Barkeeper und Conférencier an. Seiner Sammelleidenschaft frönt er tagsüber. Mit einem Handkarren geht er auf Tour und holt ab, was die Leute ausrangieren. Später wird er Sattelschlepper brauchen.

Seit 1985 ist Hermann Götting als Sammler von Alltagskultur anerkannt: Im Kölnischen Kunstverein richtete er die Ausstellung „Von Maurice Chevalier bis zum Nierentisch“ aus. Götting: „Ein Höhepunkt meines Lebens.“ Der bisherige. Denn Götting träumt weiter von einem eigenen Museum in Köln. Deshalb lehnte er es auch ab, seine Sammlung an Helmut Kohls „Haus der Geschichte“ in Bonn zu verkaufen.

Göttings Memoiren sind eine Sammlung von Anekdoten, vorgeführt wie eine Nummernrevue. Der Leser sucht zwar gelegentlich nach dem roten Faden, fühlt sich aber immer bestens unterhalten. Neben Exkursen zur Designgeschichte gibt Götting auch Einblick in sein Privatleben. „Meine erste zarte Jugendliebe hieß Werner, war groß und schlank und hatte schwarze Haare.“ Über die späteren Amouren erfährt der Leser schon mehr, aber Götting bleibt bei aller Offenheit und aller Lust am Tratschen doch immer diskret und fair. Seine Souveränität rührt daher, daß er ganz eins ist mit sich. „Ich liebe mich so, wie ich bin“, sagt Götting und blickt zärtlich auf das blaue Kapotthütchen, den Hut von Soraya. Paul Behrens

Hermann Götting, „Die Figur dazu hab ich. Ein Leben“. Edition diá, 173 Seiten, 28 Mark