Uwe ist einfach dankbar

„Der Psychologiestudent“ war nie ein Lieblingskind der Branche Profifußball: Doch Uwe Harttgen mag dennoch nicht aufhören, davon zu schwärmen  ■ Von Christoph Biermann

Daß es sich bei der Fußball-Bundesliga um eine besondere Spielform galoppierenden Irrsinns handelt, ist auch bei Menschen, die dem Spiel grundsätzlich positiv gegenüberstehen, eine nicht selten tiefverwurzelte Annahme. Der Fußballprofi ist in dieser Lesart ein neurotischer Sozialaufsteiger, der behämmertes Zeug in Mikrofone quatscht, dann in seinen Sportwagen springt und entschlossen der nächsten Geschwindigkeitsübertretung entgegensaust.

Manche Fußballfreunde macht das traurig, und sie träumen dann vom „anderen Fußballprofi“. Ewald Lienen war früher die Idealbesetzung für diese Rolle. Auch Uwe Harttgen (31) gehörte zu jenen, denen die Lienen-Nachfolge angetragen wurde.

Der damals 25jährige war ein echter Späteinsteiger, als er 1989 seinen ersten Profivertrag bei Werder Bremen unterzeichnete. Dem Psychologie-Studenten mit Vordiplom unterstellte man intellektuelle Distanz zum Fußballgeschäft. Vorher hatte Harttgen in Bremer Amateurklubs, dann im Amateur- Team von Werder gespielt. Und sein Geld verdiente er in jener Zeit mit typischen Studi-Jobs, er putzte Fenster und arbeitete bei Daimler am Fließband. Für soziale Erdung war also gesorgt. Außerdem gehörte Harttgen zusammen mit seinen Mannschaftskameraden Dietmar Beiersdorfer und Marco Bode, dem HSV-Torwart Richard Golz und dem Duisburger Alfred Nijhuis zu den wenigen Profis, die sich vor zwei Jahren kritisch zur Wischiwaschi-Politik des DFB gegen Rassismus in den Stadien äußerten.

Daß dieser Harttgen nun vor wenigen Wochen unter fragwürdigen Umständen den Zweitligisten Hannover 96 verlassen mußte, legt also die Vermutung nahe, daß seine Zwischenbilanz eher dunkel ausfällt. Ein Nachdenker, zerbrochen an den Repressionen der autoritären Branche, zuletzt und ausgerechnet inkarniert in 96-Trainer Egon Coordes?

Nichts davon. Nach Bremen ist er zurückgekehrt, trainiert dort und sagt: „Als ich in die Bundesliga-Mannschaft kam, war das nur positiv. Ein Kindheitstraum erfüllte sich. Plötzlich stand ich mit den Leuten auf dem Platz, denen ich sonst von der Tribüne aus zugesehen hatte.“

Der Fan wurde zum Profi und etablierte sich Zug um Zug in einer Mannschaft, die, angeleitet vom Trainer Otto Rehhagel, Meisterschaften und Pokale gewann. „Mit der Qualität der Mitspieler erfährt man selber auch noch eine Steigerung“, sagt Uwe Harttgen, und seine Augen leuchten.

In der Folge hat Uwe Harttgens Begeisterung für das Spiel durch die Innensicht aber keine Beschädigung genommen. Auch als er nach kurzer Phase als Stammspieler zum Nur-noch-Reservisten wurde, verweigerte er sich den üblichen Mechanismen. „Eine Mannschaft ist ein geschlossenes System, in das viele eindringen wollen. Nicht zuletzt Journalisten. Aber erfolgreiche Mannschaften bleiben geschlossen. Ich habe mich nie als Psychologen betrachtet, sondern immer als Mannschaftsmitglied. Wenn ich eine Außenposition einnehmen und meine Analyse preisgeben würde, hätte ich das Vertrauen der Gruppe mißbraucht“, sagt er.

Auch der Faktor Geld im Berufsfußball ändert seiner Ansicht nach nichts an dieser Geschlossenheit. Uwe Harttgen steckt eine Zigarette an, nippt noch mal am Milchkaffee und erklärt: „So wie ich das erlebt habe, sind alle Fußballer einfach nur dankbar, daß sie mit Fußball Geld verdienen können. Wenn sie nicht in der Bundesliga wären, würden sie eben als Amateure weiterspielen. Fußball ist ein großartiger Sport, und in der Bundesliga erlebt man das Spiel in seiner höchsten Ausformung. Man spürt die Aggression, pumpt sich aus, ist ermattet und baut sich dann wieder auf. Das ist ein höchst emotionaler Prozeß.“

Nicht einmal Otto Rehhagels vulgär-humanistische Auslassungen haben ihn vom Weg der Begeisterung abbringen können. „Natürlich wirkt das manchmal komisch. Aber es ist doch schön, wenn Menschen über den Tellerrand schauen und nicht stehenbleiben“, sagt er unerschütterlich. Auch die Goldkettchen-Träger nimmt er gelassen. „Siege und Niederlagen“, sagt er, „stellen eine gemeinsame Ebene her. Zu vielen Leuten, mit denen wir in Bremen Erfolge erreicht haben, ist dadurch ein Band entstanden.“

Vielleicht ist der Sog des Spiels tatsächlich so groß; jedenfalls will Harttgen selbst seinen hannoverschen Abgang nicht als typisch für die Branche gelten lassen. Dabei geriet seine Zeit beim Zweitligisten zum völligen Flop. Nach einer schweren Knieverletzung war er im Sommer 1994 zu Hannover 96 gewechselt. Der avisierte Bundesliga-Aufstieg wurde beim dauerchaotischen Zweitligisten aber meilenweit verpaßt. Als Folge davon mußte der Vorstand vor dieser Saison gute, aber zu teure Spieler verkaufen.

Als Trainer Coordes dann eines Tages, womöglich eher rhetorisch, fragte, wer nicht zufrieden sei, meldete sich allein Uwe Harttgen. Weil, sagt er, „mir die sportliche Perspektive fehlte“. Danach versuchte der 96-Vorstand seine Äußerung als finanzschonende einseitige Kündigung zu verkaufen. „Das war halt unfair“ ist die ganze Empörung, die er darüber entwickeln kann. Inzwischen ist der Vertrag einvernehmlich gelöst, und schon will Uwe Harttgen das Thema wechseln.

Selbst ihn nervt nämlich etwas. Und zwar Journalisten. „Ihr arbeitet nur mit Abziehbildern. Ich bin halt der ,Student‘, es gibt die ,große Klappe‘, den ,Leitwolf‘ und so weiter. Mit den realen Personen hat das nichts zu tun“, sagt er, will aber seine Medienschelte nicht zu weit vertiefen. Lieber unternimmt er einen weiteren Anlauf, die Faszination des Spiels zu erklären.

Längst ist klar, daß auch ein „anderer Fußballer“, zunächst einmal ein Fußballer ist. Egal, wo er sonst im Leben steht. Allein den fliegenden Ball richtig zu berechnen, sagt Harttgen – eine Kunst. Und was der Flügelschlag des Schmetterlings in einem Fußballspiel sein könnte, will er demnächst mal aufschreiben. Wobei er eigentlich auch gerne mal etwas Distanz zum Fußball gewinnen würde. Aber, diese Einsicht wundert nun nicht mehr, „da rauszukommen ist schwer.“