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■ QuerspalteJeder Reform ihr Schatten!

Glückwunsch an die Bundesregierung! Da ist ihr mit dem Kompromiß zu den Ladenschlußzeiten endlich mal ein durchschlagender Beitrag zur kostenneutralen und sozialverträglichen Entsorgung der Arbeitslosen gelungen. Statt die immer gestreßte Berufstätige mit Quäkkind, die kurz vor Ladenschluß und Herzinfarkt ins nächste Delikateßgeschäft hetzt, herauszustellen, möge die Koalition sich reklametechnisch mal jener Gruppe annehmen, der die tägliche 14stündige Konsumorgie wirklich nützt: Lohnarbeitslosen, SozialhilfeempfängerInnen, Ausgesteuerten. Statt der staatlich subventionierten Wärmehallen – Universitäten, Bibliotheken oder Schwimmbädern – bieten sich die Konsumtempel nun von früh bis spät als freundlich-abwechslungsreiche Asyle für all jene an, die die Pein der freien Zeit zu zerstreuen haben. Rechnet man die immensen Unterhaltungskosten solcher Anlagen hoch, kann man getrost von einem echten Unternehmensbeitrag für die Solidargemeinschaft sprechen. Die Kommunen werden's ihnen danken.

Daß von diesen Flaneuren neuen Typs keine nachhaltige Forcierung der binnendeutschen Nachfrage zu erwarten ist, läßt sich leicht verschmerzen. Für wohltemperierten Ausgleich sorgt eine zweite Berufsgruppe, die sich von jeher der Steigerung der Warenumschlagsgeschwindigkeit verschrieben hat. Goldene Zeiten für Ladendiebe! Bald werden sie sich in einer Gewerkschaft zusammenschließen, gegen die Verlängerung ihrer Arbeitszeiten protestieren und für den freien Samstagnachmittag kämpfen. Besser noch, sie setzen auf beschäftigungsfördernde Teilzeitarbeit und lassen sich das von der Bundesanstalt für Arbeit honorieren. Als letzte Möglichkeit stünde ihnen auch eine Karriere als Hausdetektiv offen; man rechnet mit gesteigertem Bedarf.

Gleichwohl, es bleibt uns allen ja noch der konsumfreie Sonntag. Dank neuer Backverordnung können wir den Tag des Herrn jetzt mit den bekannt schlechten Berliner Schrippen feiern. Damit muß man leben, jeder Reform ihr Schatten. Ulrike Baureithel

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