■ Mawrik Wulfsons, ehemals lettischer Antifaschist, heute linker Liberaler, will mit Rechtspopulisten koalieren. Warum?
: „Wir wollen die Macht!“

taz: Wie kommt ein Mensch mit ihren politischen Erfahrungen dazu, sich für eine Regierungskoalition mit einem deutschen Populisten wie Joachim Siegerist stark zu machen?

Mawrik Wulfsons: Wenn wir die Mehrheit gehabt hätten ohne Siegerist, würden wir nicht mit ihm gehen.

Siegerist bezeichnet sich als Nationalist und Antikommunist und ließ früher nie eine Gelegenheit aus, gegen die Russen in Lettland loszudonnern.

In den Beziehungen zu Rußland hat er seine Position in letzter Zeit radikal geändert. Er ist auch nicht mehr wie früher der Meinung, daß man alle Kommunisten radikal vernichten müsse.

Noch kurz vor der Wahl hat er Plakate mit dem Bild von Stalin geklebt, plus dem grellen Hinweis, wer seine Partei nicht wähle, nehme in Kauf, daß Stalin wieder zurückkommt.

Wo haben sie den Quatsch her?

Der Quatsch liegt in meiner Aktentasche. Sie glauben also, daß die Wähler selbst daran schuld sind, wenn sie einen Saulus gewählt haben, der aber vor einem Monat zum Paulus konvertiert ist.

Ein Paulus ist er bestimmt nicht. Aber auch kein Saulus.

Er ist also nur noch ein wenig Nationalist und nur noch ein bißchen antikommunistisch?

Siegerist war niemals ein lettischer Nationalist.

... Aber immer ein Paranoiker. Bei der letzten Bundestagswahl in Deutschland hat er viel Geld für Anzeigen ausgegeben, in denen er vor der „roten Volksfront“, das heißt vor einer Regierung Scharping/Fischer/Gysi warnt. Jetzt sitzt er in einer Volksfront. Mit Ihrer Partei. Warum?

Weil es ohne ihn nicht geht. Das habe ich Ihnen doch schon gesagt. Wenn wir diesmal nicht die Chance der Macht ergreifen, wird man uns erdrücken. Das ist doch einfach zu verstehen, oder? Und zudem ist Siegerist besser als sein Ruf in Deutschland. Es ist den lettischen Journalisten bisher nicht gelungen, ihm wirkliche Verfehlungen vorzuwerfen. Das einzige, was sie von morgens bis abends schreiben, ist, daß er angeblich homosexuell ist und daß er kein Lettisch kann. Das ist widerwärtig.

Laut der Koalitionsvereinbarung der „Nationalen Erneuerungsbewegung“ soll Siegerist Wirtschaftsminister werden.

Das wird nicht passieren.

Doch, wenn er nach sechs Monaten genug Lettisch gelernt hat, um nicht mehr Stellvertretender Ministerpräsident sein zu müssen, dann wird er Wirtschaftsminister. Das hat er heute in der größen Tageszeitung Lettlands, der Diena, verkündet.

Das sind seine Pläne.

Glauben Sie, daß Ihre Partei mit sechs Mandaten stark genug sein wird, um seine Pläne zu verhindern?

Stellvertretender Ministerpräsident wird er sein. Auf Dauer. Ja. Aber unsere Koalition hat dann sechs Monate Zeit, ihn zu beobachten. Während dieser Zeit kann er beweisen, ob er einhalten kann, was er im Wahlkampf versprochen hat. Nämlich daß deutsche Unternehmer kommen, um hier zu investieren, und ob er schafft, überall ein gut funktionierendes System der humanitären Hilfe aufzubauen. Halb Lettland hungert doch, hier ist ein Notstand, und auch die politischen Bündnisse entsprechen diesem Notsystem.

Wenn ich das richtig verstehe, heißt das: Er wird nur Wirtschaftsminister, wenn die von ihm angekündigten 1.000 deutschen Unternehmer hier ankommen?

... wenn er sich als Wirtschaftsfachmann bewährt und wenn er in Hamburg bei seinem Berufungsprozeß wegen Volksverhetzung freigesprochen wird.

Ist dieser Punkt in der Koalitonsvereinbarung festgehalten?

Nein, das ist meine Bedingung

Wissen Sie, von welchem Geld Siegerist seinen Wahlkampf finanzierte?

Von den Deutschen Konservativen.

Ist das für Ihre Partei ein Problem?

Wir haben keine Beweise, daß er das Geld aus Deutschland bekam. Aber irgendwoher muß er es ja haben. Und von Rußland hatte er es sicher nicht.

Sie wollen demnächst nach Bonn fahren. Einige Politiker, die Sie von früher noch kennen, werden Sie sicher nach dem Zustandekommen dieser eigenartigen Koalition fragen. Werden Sie die deutschen Sorgen zerstreuen?

Ich werde Ihnen das noch einmal erklären, alles ist doch so einfach, wie Sie es sich nicht vorstellen können. (Er holt eine handschriftliche dreiseitige Erklärung von seinem Schreibtisch und liest sie vor:) „Das Resulat der Wahlen ist nicht das Resultat des Phänomens Siegerist, sondern es ist das Resultat einer negativen Haltung der Mehrzahl der lettischen Bevölkerung gegenüber der rechts-zentristischen Regierung, deren Innen- und Außenpolitik und der Skala ihrer moralischen Werte. Die Resultate der Wahl zeigen, daß die Parteien, die drei Jahre an der Macht waren, das Vertrauen der Wähler verloren haben ... Wenn diesen Parteien dennoch die Parlamentsbildung anvertraut werden würde, hätte das schreckliche Folgen.“

Demnach ist Siegerist Profiteur einer regierungsfeindlichen Massenbewegung?

Natürlich. Die alte Regierung hat doch das Volk auf die entwürdigendste Weise ignoriert. Die Politiker fahren in schußsicheren Autos herum, mit getönten Scheiben, damit man sie nicht sieht. Keines von diesen hohen Tieren hat sich jemals um die Situation des sogenannten kleinen Mannes gekümmert ... Sie ist ihnen einfach gleichgültig. Die Kredite, die wir für den wirtschaftlichen Aufbau aus dem Ausland erhalten haben, hat die Regierung sinnlos verpulvert ... Wir hatten einmal eine exportintensive, qualitativ sehr hochstehende Industrie. Sie ist nicht zusammengebrochen, weil der russische Markt wegfiel, sondern weil die Regierung alles im Ausland einkauft. Im Verhältnis zu diesen Politikern ist Siegerist geradezu integer, und er hat wirklich vielen Menschen geholfen, eine Suppe in den Bauch zu bekommen.

Hat er nicht vielmehr die humanitäre Hilfe für seinen Wahlkampf benutzt?

Ich werde ihn heute nicht verraten, auch wenn Sie das gerne wollen. Falls wir Koalitionspartner werden, werde ich ihn respektieren, solange er die Koalitionsvereinbarungen einhält. Ich brauche ihn ja nicht zu lieben. Außerdem gilt auch für ihn der Satz, daß sich Menschen ändern können. Ich glaube zwar nicht daran, daß er sich sehr ändert, aber manchmal geschieht ja ein Wunder Gottes. Meine Aufgabe wird sein, diesem Wunder Gottes etwas nachzuhelfen. Interview: Anita Kugler