Am liebsten im Spagat durchs All

Auf „Cosmic Ceiling“ spielt Bobo in White Wooden Houses mit Dancefloor und Chanson  ■ Von Thomas Winkler

Das Kind war gerade mal in der zweiten Klasse. Alle Welt nannte es Bobolina, obwohl das nur sein zweiter Name ist. Es verdankt ihn einer griechischen Urgroßmutter. In der Schule sollte es darüber schreiben, was es später gern einmal machen würde. Punkt eins: „Ich will einmal in einem anderen Land leben.“ Gleich dahinter kam: „Ich möchte viel in der Welt rumreisen.“

Aus Bobolina ist Bobo geworden. Und die 28jährige Bobo ist schon ganz schön rumgekommen in der Welt, die damals, während der Kindheit im Sächsischen, noch so weit weg schien. Ihre Band heißt „Bobo in White Wooden Houses“, nach den norwegischen weißen Holzhäusern auf einer Postkarte, die den Weg über die Mauer fand.

Die Häuser hat Bobo inzwischen besucht. Und fünf-, sechsmal im Jahr ist sie in London. Dort nimmt sie in Studios auf, die vorher die Pet Shop Boys und East 17 benutzt haben. Ihre Videos laufen gern und oft auf MTV. Aber das Fernweh ist ungebrochen.

Ihre neue Platte heißt „Cosmic Ceiling“, die Single „Travel in My Mind“, und ihre Texte wimmeln von Reisemetaphern, auch wenn die Ziele andere geworden sind. „In der Musik wollte ich immer weg von meiner eigenen Realität, ich wollte nie mein eigenes Leben besingen. Ich hab' mich immer gestreckt nach Orten, die schwer zu erreichen sind. Jetzt liegt der Westen vor der Tür, also ist der Kosmos das nächste Ziel.“

Das hat sie gesagt, damit man was zum Aufschreiben hat. Und dann lacht sie, damit man merkt, daß sie sich nicht so ernst nimmt. Aber tatsächlich schwirren durch die Zeilen von „Cosmic Ceiling“ eine ganze Menge Raumschiffe und Flugzeuge. Und als blitzende Kosmonautin singt sie sich durch ihr aktuelles Video.

Bobo ist auf dem Weg, ein kleines Erfolgsmärchen zu schreiben. Bobolina, die Pfarrerstochter, war immer von Musik umgeben: „Wenn ich aus der Schule kam, hat mich meine Mutter erst mal zwei Stunden lang am Klavier begleitet.“ Im Kirchenchor, den die Mutter leitete, sang sie die Soloparts. Fast logisch folgte ein Studium in Weimar, aber den klassischen Gesang hat sie nach zwei Jahren geschmissen. „Ich wollte nicht Opernsängerin werden. Und andere Musik zu singen, das hat mir meine Lehrerin verboten. Das versaut die Stimme, hat sie immer gesagt.“

Während andere ihren Händel übten, trieb sich Bobolina auf Rockkonzerten herum. „Die klassische Ausbildung hat mir nichts gebracht.“ Statt dessen hatte sich ihre Stimme einem Ideal angenähert, das sie nicht wollte: „Erst jetzt, nach all den Jahren, habe ich wieder den natürlichen Stimmsound von vor dem Studium.“ Mit der anschließenden Popausbildung begann sie noch einmal von vorn, lernte Atemtechniken und „wie man singt, wenn man sich nicht gut fühlt oder krank ist“.

Ost oder West zählte bald nicht mehr

Erste Bühnenerfahrung sammelte sie bei den Freunden von Tina Has Never Had a Teddybear. Doch als die Tinas Geschichte schrieben und kurz vor der Maueröffnung im damaligen Ecstasy und heutigen marquee beim ersten offiziell genehmigten Konzert Ostberliner Underground-Bands in Westberlin auftraten, war Bobo schon nicht mehr dabei. Sie hatte sich ihrer eigenen Musik zugewandt.

In der Wendezeit entstanden die ersten Songs. Mit dem Gitarristen Frank Heise fand sie einen Partner – Bobo in White Wooden Houses waren geboren. Der von Heise und „seiner alles überflutenden Gitarre“ dominierte Folkrock war schnell erfolgreich. Was den Prinzen auf höchst lukrativer Ebene gelang, schafften Bobo in White Wooden Houses auf dem Independent-Level: Die Frage nach der Ost- oder West-Herkunft zählte nicht mehr.

Doch musikalisch hatte sich Bobolina längst von Heise entfernt. „Das kommt in Berlin doch zwangsläufig. All die Clubs, die ganze Techno-Welle, das ging nicht spurlos an mir vorüber.“ Schon auf der zweiten Platte experimentierte man dann mit elektronischen Klängen. Und als der inzwischen verstorbene Frank Heise wegen persönlicher Probleme nach zwei Platten die Band verließ, war das Kapitel White Wooden Houses eigentlich abgeschlossen.

Von nun an war nichts mehr wie zuvor. Bobo suchte nicht nach einer neuen Band, sondern wollte „viel flexibler arbeiten. Eigentlich wollte ich Tapes hin- und herschicken, aber letztlich haben wir dann doch alle Leute in Berlin gefunden.“ Die Band, die keine ist, machte „einen Schritt nach vorn“ und nahm eine Platte auf, die alles Vorherige weit hinter sich ließ. „Risikobereitschaft“ nannte das der Musikexpress. Doch für Bobo hat sich die Musik ganz einfach mit ihr selbst weiterentwickelt.

Die Datenbits ordnen sich aber auch auf „Cosmic Ceiling“ der Sängerin Bobo unter, sorgen für ein romantisches Ambiente, für ein „Traumgespinst“ (Stern), in dem ihrer Stimme, die so zerbrechlich und gleichzeitig so stark sein kann, aller Entfaltungsspielraum bleibt. Und trotz ihrer privaten Vorliebe für modernen Dancefloor lassen manche Stücke einen tanzbaren Rhythmus vermissen und suchen fast die Nähe zum Chanson. Der nächste logische Schritt, der Bruch mit dem Band- Namen, der immer noch mit einer bestimmten Musik verknüpft ist, wird bald folgen – „auch weil Heise nicht mehr dabei ist“.

Drei Stücke hat Bobo nun mit Orchester aufgenommen. Sehr getragen klingt ihre glockenklare Stimme da, manchmal hört es sich an wie Filmmusik, meint sie selbst. Auch finanziell stellt das ein Risiko dar, denn ein Orchester ist teuer. Aber Bobo hat Glück, daß sie mit Leuten zusammenarbeitet, die „nicht nur nach Verkaufszahlen schielen“. Die Platte soll im Januar erscheinen. Daß ihr der langsam, aber stetig wachsende Erfolg auch bei diesem Projekt treu bleibt, erwartet sie nicht: „Wenn ich eine Platte mit Orchester mache, dann weiß man vorher schon, daß das kein Megaseller wird.“

In welches „andere Land“ das Raumschiff auch eines Tages fliegen mag, zumindest auf Tour kehrt Bobolina zu ihren Anfängen zurück. Zwar hat der Trommler auf der Bühne die Möglichkeit, über die Schlagzeug-Pads die elektronischen Klänge einzusetzen. Einige Songs sollen aber akustisch gespielt werden. „Live will man ja auch live spielen und nicht nur auf einen Knopf drücken.“

Mit ihrem runden Lachen wird sie wie bisher die alten Freunde des Folkrock wie die neuen des Tanzbodens in ihre Arme schließen, ohne sich selbst zu verbiegen. Und wenn der Spagat nicht gelingt, ist es auch egal: „Hauptsache, ich kann die Musik machen, die ich will. Ich hab' mir nie Sorgen gemacht, ich hab' immer optimistisch gedacht: Es wird schon werden.“

Bobo in White Wooden Houses: „Cosmic Ceiling“, Motor Music/ BMG

Am 10.11. spielt Bobo in White Wooden Houses um 20 Uhr im Huxley's, Hasenheide 108, Neukölln