Larry ist o.k.

■ Wege aus der Onkelhaftigkeit - Ein Gespräch mit Regisseur Larry Clark

Was interessiert Sie an Teenagersex, Drogen und Tod?

Larry Clark: Alle Welt interessiert sich für Teenies, das Fernsehen, die Werbung, das Kino. Bei mir kommt da noch eine ganz merkwürdige Perspektive hinzu. Ich wollte immer selbst der Teenie sein, den ich gerade fotografierte. Das hat mit einer gewissen Sehnsucht nach Unbekümmertheit, nach Freiheit zu tun. Das fasziniert mich auch bei den Kids in meinem Film. Obwohl auch die etwas ganz Normales haben. Einige von ihnen werden erwachsen, bekommen Kinder, machen ihren Job. Es wird natürlich Verluste geben, aber einige kommen durch.

Auf der Suche nach der verlorenen Jugend?

Ja, warum nicht. Vielleicht auch nach der nicht gelebten Jugend. Das hört sich aber nach einem ziemlich onanistischen Kunstverständnis an. Ich habe „Kids“ auch für Kids gemacht. Die in diesen Film gehen und sich sagen: Yep, genau so ist es. Deswegen habe ich auf die Erwachsenenperspektive verzichtet. Ich hatte das Glück, Zugang zu dieser Welt zu bekommen, weil ich einen Film machen wollte, den so noch niemand gesehen hat.

Immer der erste und einzige zu sein, der sich bestimmter Motive bedient, gehört wohl auch zu Ihrer Kunstproduktion ...?

Nur so kann ich überhaupt arbeiten. Da gab es Anfang der 80er einen Film, der hieß „Over the edge“. Darin sah ich meinen Standpunkt bestätigt, daß man echte Kids im entsprechenden Alter als Schauspieler nehmen kann. Statt diese schrecklichen Filme, in denen erwachsene Schauspieler auf jung machen. Die meisten dieser Filme sind ja auch von Erwachsenen geschrieben, die den Kids ihre eigenen Worte in den Mund legen. Deswegen ließ ich das Drehbuch von einem 19jährigen schreiben. Jemandem aus dieser Welt. Der Film ist Wirklichkeit.

Wo haben Sie Ihre Schauspieler gefunden?

In der Skateboard-Szene. Ich dachte mir, da gibt's die besten. Diese Skater sind die ganze Zeit auf der Straße, haben andauernd Auseinandersetzungen, Schlägereien, die Erwachsenen hassen sie, halten sie für Taugenichtse. Sie sind nur auf dem Brett und brauchen sonst nichts. Für einen zwölfjährigen ist die ganze Stadt ein einziger Betonspielplatz. Und da gibt es diesen Kitzel der Gefahr. Diese Tricks müssen sie einige tausend Male üben, verletzen sich. Es ist ein total individueller Sport, man kann ihn nicht organisieren. Man kann es nur allein lernen.

Altersmäßig könnten Sie fast der Opa sein. Wie sind Sie in die Skater-Szene reingekommen?

Als mein Sohn acht war, habe ich ihm ein Skateboard gekauft. Und mir auch. Wir fingen an, zusammen zu skaten. Außerdem wollte ich die Skateboard-Szene fotografieren. Als Fotograf war das für mich nach 35 Jahren Praxis so ziemlich das aufregendste, was es gibt. Ich mußte skaten so lernen, daß ich ziemlich schnell fahren und beim runterfallen meine Leica noch halten konnte. Lieber das Genick als die Leica zerbrechen. Eine harte Schule, Ende 40 geht das nicht mehr so einfach. Nach ein paar Monaten war ich akzeptiert, nicht als Erwachsener, sondern als einer von ihnen, trotz des Altersunterschiedes.

Aber aus der Onkelposition gibt es doch gar keinen Ausweg ...

Nein, ich wurde absolut akzeptiert. Sie hörten auf mich und sonst keinen. Einmal wegen meiner Aufnahmen, die sie kannten, und weil ich von einem der Kids, einem Fotografen für Skate-Magazine, eingeführt wurde. Er ist ein Fan von mir und sagte: Larry ist o.k. Über diesen Jungen habe ich dann auch Harmony Korine (den Drehbuchautor) getroffen. Er war damals 18 und seit sechs Jahren Skater. Er erzählte mir, daß er aufhören wolle, um Drehbücher zu schreiben und Filme zu drehen. Ein Jahr nach unserer Begegnung kam mir die Idee für „Kids“, und ich fragte ihn, ob er nicht das Drehbuch schreiben könne. Er hatte mir von einem Drehbuch erzählt, das er geschrieben hatte. Es geht um einen Jungen, dessen Eltern getrennt sind. Der Vater ist Alkoholiker. Er holt den Sohn für eine Woche zu sich. Sie feiern seinen 13. Geburtstag, nehmen jede Menge Drogen, und am Ende kauft der Vater ihm zum 13. Geburtstag eine Prostituierte. Ich sagte Mann, für ein Kid sind das ziemlich ungewöhnliche Gedanken. Er brauchte nur drei Wochen. Ein Genie.

Hat Ihr Film pädagogische Absichten?

Vielleicht bringt er einige Eltern dazu, sich mal mit ihren Kindern zu unterhalten. Einen Dialog zu versuchen. Wäre doch nett, wenn eine Mutter nach Hause kommt und ihren Sohn erst mal fragt, was heute draußen so los war. Die Kinder sind auf der Straße, die Eltern arbeiten, und die meisten Familien sind kaputt. Die Kids sind auf sich gestellt. Da gibt es kaum noch das, was man landläufig Erziehung nennt. Ich habe selbst Kinder und weiß, wie anstrengend es ist, gute Eltern zu sein. Verdammt harter Job. Als ich mit den Kids rumhing, kam raus, daß sie überhaupt keine Kondome benutzen, obwohl alle sagen, daß sie's tun. Sie lernen es im Sexualkundeunterricht, in New York City kriegen sie die Kondome in der Schule sogar umsonst. Ein paar von ihnen hatten Sex mit Jungfrauen. Und die Mädchen? They don't give a shit. Das war für mich eine Art Anstoß zum Film.

Interview: Katja Nicodemus