Totales Fiasko bei Israels Sicherheit

Zum Zeitpunkt der Ermordung von Ministerpräsident Jitzhak Rabin fühlte sich weder Geheimdienst noch Polizei richtig für dessen Schutz verantwortlich. Nun rollen die Köpfe  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

Zur Zeit des Attentats auf den israelischen Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin herrschte bei praktisch sämtlichen für dessen Sicherheit zuständigen Institutionen totales Chaos. Zu diesem Schluß kommt eine Untersuchungskommission des „Allgemeinen Sicherheitsdienstes“ (GSS), deren Bericht die israelische Regierung gestern vorgelegt bekam. Nach der Diskussion des Berichtes beschloß das von Schimon Peres geführte Kabinett, eine Untersuchungskommission einzusetzen, die die genauen Umstände des Mordes erforschen soll. Vorsitzender der Komission ist der ehemalige Präsident des Obersten Gerichts, Meir Schamgar.

Krassestes Versagen wird der für Personenschutz zuständigen Spezialabteilung D des inneren Geheimdienstes Schin Beth vorgehalten. Ein hoher Sicherheitsbeamter erklärte gestern, eigentlich sei „das gesamte Abschirmungssystem zum Schutz des Ministerpräsidenten zusammengebrochen“. Der Chef der Spezialabteilung sowie drei weitere Beamte nahmen daraufhin ihren Hut.

Auch die isralische Polizei hat laut Bericht am Samstag abend völlig versagt, eine Koordination zwischen ihr und dem Geheimdienst fand praktisch nicht statt. Einer der gravierendsten Fehler war es, den Parkplatz mit den Wagen der zu der Friedenskundgebung gekommenen Minister nicht abzuriegeln. Als Rabin am Ende der Kundgebung zu seinem Dienstwagen ging, hatte der Attentäter freien Zugang. Unerklärlich ist dieser Umstand besonders, da sich in unmittelbarer Nähe des Parkplatzes zahlreiche bewaffnete Mitglieder der Sondereinheiten der Sicherheit befanden sowie ein starkes Aufgebot von bewaffneter Polizei und Grenzschutz.

Unverständlich ist auch, wie es dem mit einer Pistole bewaffneten Mörder Jigal Amir gelingen konnte, durch die äußeren und inneren Sperren der Polizei und der Sondereinheiten des Geheimdienstes zu kommen, ohne daß sich ihm jemand in den Weg stellte. Ebenso unklar ist die Abwesenheit von Sicherheitsleuten, die sonst vor Abfahrten und Ankünften unmittelbar um die Fahrzeuge der Regierungsmitglieder postiert sind. Trotz der engen Begleitung durch Sicherheitsleute, lag Rabin für geraume Zeit frei in Amirs Blick- und Schußlinie. Schließlich warf sich im entscheidenden Augenblick keiner der Sicherheitsleute zwischen den Attentäter und sein Opfer.

Nachdem Rabin von drei Schüssen getroffen zusammengesackt war, schob sein Fahrer ihn und einen leichtverletzten Sicherheitsbeamten in sein Auto und raste mit ihnen ohne Begleitung von Sicherheitspersonal in das nahegelegene städtische Krankenhaus. Als er nach drei Minuten Fahrt dort ankam, mußte der Fahrer feststellen, daß im Krankenhaus niemand über den Vorfall und die bevorstehende Einlieferung informiert war. Angesichts dieses Fiaskos verlangen einige Regierungsmitglieder, den Chef des Schin Beth abzusetzen. Obwohl es in der letzten Zeit wiederholt ernstzunehmende Warnungen vor Anschlägen auf Rabin gegeben hatte, waren elementarste Sicherheitsregeln unbeachtet geblieben. Wie es dazu kommen konnte, soll nun die Untersuchungskommission klären.

Im Zuge der Ermittlungen zur Aufklärung des Mordes wurden gestern zwei weitere Personen festgenommen. Neben dem Mörder sind damit drei Personen in Haft. Um weitere Anschläge zu verhindern, will der oberste Staatsanwalt und Rechtsberater der Regierung die Anwendung von Administrativhaft ohne vorherige Gerichtsverfahren gegen rechtsextreme Siedler vorschlagen. Bisher waren nur Palästinenser mit einer solchen Behandlung konfrontiert worden. Mitgliedern radikaler Organisationen wie Kach und Kahane Haj sollen eventuell die Waffenscheine entzogen werden. Auch an eine Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit wird gedacht. Einige Regierungsmitglieder verlangen jetzt eine grundsätzliche staatliche Untersuchung der rechtsradikalen Gruppen.