Die Kunst des Mobbings

Neuwahl an der Hochschule für Bildende Künste  ■ Aus Hamburg Patricia Faller

„Wenn jemand antritt zum 100-Meter-Lauf, hat aber einen Klumpfuß, dann muß ich doch sagen, tritt nicht an! Du kannst nicht laufen, die lachen dich aus.“ Diesen äußerst feinfühligen Ratschlag ihres Vizes und Erzfeindes Franz Erhard Walther, lanciert in der Boulevardpresse, schlug Adrienne Goehler in den Wind. Daß Walther der Präsidentin der Hamburger Hochschule für bildende Künste (HfbK) Kunstverstand abspricht und sie deshalb für unfähig hält, eine Kunsthochschule zu leiten, daraus hat der freie Künstler in all den Jahren nie einen Hehl gemacht. Zu seinem Verdruß tritt sie neben vier weiteren BerwerberInnen wieder an, wenn am heutigen Donnerstag der oder die ChefIn über freie Kunst, Architektur und Stadtplanung, visuelle Kommunikation und Industrial Design gewählt wird.

Sechs Jahre Streit und Intrigen schreckten die 40jährige Psychologin nicht ab. Ihre Chance ist reell. Denn die breite Front ihrer Gegner ist längst auf einen unverbesserlichen harten Kern geschrumpft. Im Konzil, dem Wahlgremium, sitzt nur noch ein ausgewiesener Goehler-Gegner, die Feinde der einstigen Mitbegründerin der grün-alternativen Frauenliste in der Hamburger Bürgerschaft haben sich längst selbst ins Aus manövriert. Der Stoff, aus dem Schmierenkomödien sind, sorgte vielmehr für Sympathiepunkte auf dem Konto der streitbaren Frau, obwohl auch sie nicht gerade mit taktischen Geschick aufwarten kann.

Vor sechs Jahren wurde Adrienne Goehler die erste Frau an der Spitze einer deutschen Kunsthochschule. Die Powerfrau sorgte für ordentlich Wirbel in dem Altherrenclub. Sie machte Schluß mit dem romantischen Geniekult der freien Künstler und zettelte offene Diskussionen über Kunst und die HfbK-Welt an. Sie wertete die angewandten Künste wie Archtektur oder Design auf und vertrieb Professoren aus ihren großen Ateliers, um für StudentInnen Platz zu schaffen. Sie förderte den Nachwuchs, beschaffte Gelder bei Handwerk und Industrie. Während ihrer Amtszeit erhöhte sich die Zahl der Professorinnen von einer auf inzwischen vier von 52 ProfessorInnen.

Soviel Neuerungen waren den ach so sensiblen Künstlern denn doch zuviel. Sie reagierten prompt und mobilisierten Günstlinge, Gönner und Bekannte in ganz Deutschland. Ihr beliebtestes Argument: „Sie versteht nichts von Kunst.“ Zu Hochzeiten verging kaum eine Woche, an denen der Rest der Welt via Medien keine neuen HfbK-Inszenierungen präsentiert bekam. Das Repertoire: gegenseitige Rücktrittsforderungen wegen Laienhaftigkeit oder Unfähigkeit, Listenabsprachen bei Wahlen, Abmahnungen wegen Dienstpflichtverletzungen, Rufmord und Beleidigungsklagen und eine 81seitige Dokumentation über die „Verfehlungen“ der Adrienne Goehler.

HfbK - ein gefundenes Fressen also für jeden Mobbingbeauftragten. Dies befanden auch einige WissenschaftlerInnen: Auf der Suche nach einem Studienobjekt für ihre Forschungsarbeit „Macht und Geschlecht in Organisationen“ stießen sie auf die Kunsthochschule. Eindeutige Schuldzuweisungen nahmen sie in ihrer in diesem Jahr unter dem Titel „Nach allen Regeln der Kunst“ veröffentlichten Studie zwar nicht vor. Für den daran beteiligten Psychologen Oswald Neuberger steht jedoch fest, daß an der HfbK seit längerem der Zustand einer „paranoiden Organisation“ erreicht sei. Die meisten HfbKler sind des unsäglichen Streites jedoch längst überdrüssig. „Es gibt wichtigere Dinge“, bringt ein Student die Sache auf den Punkt: mangelnde Ausstattung, wenig Geld, Professoren, die nicht anwesend sind und trotzdem ihr Gehalt beziehen und die Überalterung ganzer Fachbereiche.

Mit Spannung wird deshalb erwartet, ob die HfbK die Femme fatale an ihrer Spitze opfern wird, nur der ruhigeren Zeiten wegen. Denn die wird es mit einer Präsidentin Adrienne Goehler nicht geben. Sie will „die Hochschule zum Ort des offenen Palavers machen“.