SPD: Verenden durch regieren?

Die Berliner SPD macht sich auf den Weg in die Große Koalition. Der Landesparteitag entscheidet sich nur knapp gegen den Rücktritt ihrer Senatoren. Und die Partei bleibt tief gespalten  ■ Aus Berlin Dirk Wildt

Das Kongreßzentrum am Berliner Alexanderplatz war mit Plakaten aus dem Wahlkampf gepflastert: „Wir wollen verändern durch regieren“. Die Meinung über diesen Slogan ging unter den 341 Delegierten des SPD-Parteitags am Dienstag abend weit auseinander. Nach einer heftigen Debatte hatten einige GenossInnen den Sinn des Slogans mit handgemalten Klammern auf jedem Plakat in sein Gegenteil verkehrt: „verände(r)n durch regieren“. Ein deutlicheres Symbol konnte es nicht geben,dafür, wie tief gespalten die Berliner Genossen am frühen Mittwoch morgen auseinandergingen.

Trotz ihrer Zerstrittenheit ist die SPD nach diesem Parteitag aber einen Schritt weitergekommen. Knapp zwei Drittel der Delegierten entschieden, mit der CDU die Bedingungen für eine mögliche Fortsetzung der Koalition wenigstens zu sondieren. Mit den Bündnisgrünen wird ebenfalls gesprochen, obwohl es dabei nicht um eine Regierungsbildung geht. SPD und Grünen fehlen drei Stimmen für eine Mehrheit. Eine wie in Sachsen-Anhalt von der PDS geduldete Minderheitsregierung schließen beide Fraktionen aus. Ob die SPD nun tatsächlich mit der CDU weitermacht oder auf die Oppositionsbank wechselt, wird ein außerordentlicher Parteitag in sechs Wochen beantworten. Dann erst würde der Weg frei für offizielle Koalitionverhandlungen.

Die Delegierten entschieden darüber hinaus mit 13 Stimmen Mehrheit denkbar knapp, daß die sechs SPD-Senatoren Ende des Monats nicht zurücktreten – dann konstituiert sich das neue Parlament.

Vor allem jene, die in die Opposition wechseln wollen, hatten den Rücktritt gefordert. Mit dieser „Zäsur“ wollten sie signalisieren, worüber sich eigentlich alle einig waren: Nach dem schlechtesten Wahlergebnis in Berlins Nachkriegsgeschichte von 23,6 Prozent dürfe es kein „Weiter so“ geben.

Die knappe Entscheidung gegen den Senatoren-Rücktritt offenbarte, wie recht Landesvorsitzender Detlef Dzembritzki bei der Eröffnung des Parteitages hatte: „Ein tiefer Riß geht durch unsere Partei.“ Wie wenn es bereits um die wesentliche Entscheidung gegangen wäre, formierten sich die politischen Lager.

Auf der Seite der Koalitionsbefürworter standen die Promis um die gescheiterte Spitzenkandidatin Ingrid Stahmer, zu denen die Senatoren, die Partei- und Fraktionsspitze sowie der ehemalige rot- grüne Regierende Bürgermeister Walter Momper zählen. Ohne eine Duldung der SPD werde es eine CDU-Minderheitsregierung nicht geben, sagte Stahmer. Mit dieser Duldung würde ihre Partei aber zum „Steigbügelhalter“ verkommen. In der Opposition drohten außerdem Magdeburger Verhältnisse, die SPD würde zwischen Bündnisgrünen und PDS zerrieben.

Die Oppositionsbefürworter wie der ehemalige Innensenator Erich Pätzold und der Parteilinke Klaus- Uwe Benneter plädierten dennoch für die Duldung einer CDU-Minderheitsregierung. Bei einer Fortsetzung der jetzigen Regierung würde sich die Rolle der SPD auf die eines Mehrheitsbeschaffers reduzieren: „Wir wollen nicht den Weg der FDP gehen.“

Das erstaunliche war aber weniger die tiefe Spaltung der Genossen, sondern wie selten Redner bereit waren, auf die Krise der SPD als linke Volkspartei einzugehen. Nur drei Teilnehmern gelang der Blick über den Tellerrand lokaler Politik. Der stellvertretende Bundesvorsitzende Wolfgang Thierse meinte, daß der Streit um Koalition oder Opposition das eine sei, die Neuformierung der SPD aber das andere.

Der Fraktionsvorsitzende Klaus Böger warf seinen Berliner Genossen vor, mit der Infragestellung der künftigen Regierungsbeteiligung einen „tödlichen Fehler“ zu begehen. Denn die SPD verliere bei Wahlen in der ganzen Republik, unabhängig davon, ob sie mit der CDU oder wie in Bremen mit den Grünen regiert hat. Bausenator Wolfgang Nagel, der seine Partei mit Bezeichnungen wie „größte Selbsterfahrungsgruppe der Welt“ und „offene Psychiatrie“ beleidigt hatte und sich dafür entschuldigte, kritisierte die SPD als konservativ: „Wir wollen die Menschen vor Veränderung bewahren, statt uns an die Spitze der Veränderer zu setzen und zu gucken, daß niemand unter die Räder kommt.“ Er überzog die Redezeit und wurde ausgebuht.