„Da fehlt die Reife des Lebens“

■ Almuth Wietholtz (18) ist Schülervertreterin. Sie hält Jugendliche selbst mit 18 für unfähig, sich eine politische Meinung zu bilden

Almuth Wietholz ist Abiturientin am Kaiser-Wilhelm-Gymnasium in Hannover.

taz: Wenn Du gestern über das Wahlrecht für Jugendliche hättest mitstimmen können, wie wäre Dein Votum ausgefallen?

Almuth Wietholtz: Ich finde es gut, wenn sich Menschen mit 16 politisch engagieren. Aber angesichts der allgemeinen Politikverdrossenheit und der Tatsache, daß sich viele 18jährige noch nicht einmal in der Lage sehen, sich eine politische Meinung zu bilden, hätte ich das Gesetz gestern abgelehnt.

Soziologen haben herausgefunden, daß nur knapp ein Drittel der Jugendlichen nicht wählen würden, die anderen unter 18 würden zur Urne gehen.

Aber besonders Schüler pauschalisieren gerne. Das ist normal bei Jugendlichen unter 18. Das zeigt mir meine tägliche Erfahrung. Unserer Schule sagt man zum Beispiel nach, sie sei ein „CDU-Laden“. Unsere Schüler sagen anderen Gymnasien nach, „absolut links“ zu sein. Außerdem sind 16jährige zu sehr an ihre Eltern und Lehrer gebunden und reproduzieren deren Meinungen.

Mit 16 darfst du schlafen, mit wem du willst, ein Konto eröffnen, nur wählen nicht. Was macht den wahlmündigen Menschen aus?

Die Fähigkeit zu kritischem Denken. Eine gewisse Reife braucht es, das Interesse an Politik, Lebenserfahrung ist auch ein wichtiger Faktor.

Wo lernt man das?

Die wenigsten in der Schule. Aber an unserer Schule ist das anders. Wir haben zur letzten Bundestagswahl eine Probewahl gemacht und viel darüber geredet.

Jüngere könnten doch ihre unverbrauchte Energie in die Politik einbringen. Wäre das nicht ein Gewinn?

Das kann sein, aber gerade zwischen 16 und 18 läßt man sich von Emotionen leiten, das weiß ich aus meiner Entwicklung.

Vor Emotionen sind auch ältere Politiker nicht gefeit.

Viele lassen sich davon leiten. Das ist aber auch eine Gefahr.

Also zeichnen sich Parlamentarier durch eine gewisse Distanziertheit und Kühle zu den Dingen des Lebens aus?

Gewissermaßen kann man das so sehen. Aber ich bin wirklich überzeugt, daß ein 16jähriger noch nicht die Reife des Lebens hat, die er für eine Wahl braucht. Ich sehe auch, daß in meiner Klasse das Interesse für die Politik erst mit 16 kam. Auch der Wunsch, in eine Jungpartei zu gehen, tritt in dem Alter auf. Da kann man ja auch seine Erfahrungen erst einmal sammeln.

Warum forderst Du nicht gleich einen Politik-TÜV für Wähler und Wählerinnen?

Das ist nicht realisierbar. Und ich gestehe ja zu, daß es auch 40jährige gibt, die politisch weniger informiert sind als 16jährige. Und überhaupt, ein Prozent der Jugendlichen in diesem Land sind in einer Jungpartei organisiert. Das zeugt nicht gerade von einem ausgeprägtem Interesse an dem Thema. Interview: Annette Rogalla