Viele Mutmaßungen, größere Vorsicht

■ Umfrage unter jungen Hamburger Schwulen in Zeiten von Aids. Safer Sex wird Norm Von Miguel-Pascal Schaar

„Was weißt du über Aids? Wie sieht für dich eine ideale Beziehung aus? Welche Art Sex hattest du mit deinem Freund?“ Diese und andere Fragen finden sich in einem Fragebogen, der in einer Auflage von 1000 Stück in diesem Sommer an junge Schwule in Hamburg verteilt wurde. Der Psychologiestudent Thomas Diesbrock startete die Umfrage im Rahmen seiner Diplomarbeit, um herauszufinden, wie die Lebenswelt junger Homosexueller in den Zeiten des HI-Virus und Aids aussieht.

„Es gibt viele Mutmaßungen, wie sich junge Schwule heute verhalten, aber keine Erkenntnisse“, begründet Diesbrock, warum er „Schwule Liebe unter 25“ zum Thema seiner Diplomarbeit machte. Der 32jährige wollte wissen, inwieweit junge Schwule sich durch Aids bedroht und betroffen fühlen und welche Konsequenzen sich daraus für ihr Verhalten und ihre Einstellungen ergeben. Nach zehn Jahren Präventionsarbeit durch Aids-Hilfen und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung fragte er sich, in welchem Ausmaß die Informationen Jugendliche und junge Erwachsene auch erreichen.

Eine erste Auswertung der 140 anonymen Fragebögen liegt nun vor. Das Durchschnittsalter der Befragten lag bei 22 Jahren, der jüngste war 15, der älteste 25. Erstaunt hat Diesbrock das hohe Bildungsniveau. 76 Prozent der Befragten streben das Abitur an. „Erstaunlich offen“ fand Diesbrock auch die Antworten. Die Mehrzahl (72 Prozent) hat nach eigenen Angaben ihr Coming Out abgeschlossen, im Schnitt waren sie bei der Selbstfindung 19 Jahre alt. Unterstützung suchten sie dabei weniger in Beratungsstellen sondern stärker bei schwulen Freunden, heterosexuellen Bekannten oder Eltern.

Durchschnittlich hatten die Interviewten drei Sexualkontakte, bevor sie ihr Coming Out erlebten. Die Hälfte hatte mit den ersten Partnern Analverkehr, ein Viertel davon hatte passiven Verkehr ohne Kondom. Ungeschützt gilt diese Sexualpraktik als ein Übertragungsweg für das HI-Virus. Immerhin aber 80 Prozent verwenden immer Kondome, wenn sie mit einem Partner schlafen.

Der Erfolg von Präventionsarbeit ist abhängig von den Multiplikatoren: Genutzt werden die schwule Presse, Zeitungen allgemein, Material der Aids-Hilfe, Freunde, Beratungseinrichtungen und Ärzte. Letzteren wird aber mangelnde Beratungsbereitschaft bei HIV-Tests konstatiert: 57 Prozent der Befragten wurde nach einem HIV-Test von dem behandelnden Arzt kein Gespräch angeboten.

Seit Beginn der Präventionsarbeit steht die Kondomverwendung im Mittelpunkt. Es galt, den Gebrauch selbstverständlich werden zu lassen und „erotisch zu besetzen“. Meist gaben eher Jüngere an, keine Probleme zu haben, ein weiteres Drittel fände es ohne Kondom besser, aber nur elf Prozent haben Schwierigkeiten mit dem Gummitütchen. Die Ergebnisse zeigten, so Diesbrock, wie normal der Umgang mit Kondomen geworden sei. Der Psychologe kritisiert jedoch: „Die Norm wurde vermittelt, aber nicht der Umgang damit.“ Hauptsächlich rationale Argumente sprechen für die Anwendung, sinnliche Reize werden nicht aufgeführt.

Im Sommer nächsten Jahres will Thomas Diesbrock die Gesamtauswertung samt Folgerungen vorlegen. Die Fachöffentlichkeit wartet schon: Druckofferten liegen vor.