"Ich war zu schwach"

■ Ein ehemaliger FU-Professor und Dekan des Otto-Suhr-Instituts für Politologie wurde wegen Spionage für die Stasi verurteilt. Sein Motiv: Selbstüberschätzung - er wollte die Öffnung der DDR erreichen

Er wollte die politische Öffnung der DDR erreichen, die Stasi aber wollte einen Spitzenspion aus ihm machen. Der ehemalige FU-Professor Hanns-Dieter Jacobsen ist wegen 21jähriger geheimdienstlicher Tätigkeit für die Stasi gestern vom Kammergericht zu zehn Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung plus einer Geldauflage von 10.000 Mark verurteilt worden. Das niedrige Strafmaß begründete der Vorsitzende Richter unter anderem damit, daß der Angeklagte in seinem umfassenden Geständnis sogar die Materialien auflistete, die er im Laufe der Jahre auf Mikrofilme gebannt und übergeben hatte. Da die Stasi-Akten über seine Tätigkeit vernichtet wurden, habe er sich damit selbst belastet.

Ein Hauch von Tragikomödie umwehte das Verfahren. Als der damalige Dekan des Otto-Suhr-Institutes 1992 von der Bundesanwaltschaft zwei Wochen in Untersuchungshaft genommen wurde, handelten ihn die Medien noch als Topspion. Doch der 51jährige Fachmann für die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Ost und West geriet vor den Kadi, weil er unter anderem das Vorlesungsverzeichnis der Harvard-Universität an die DDR verraten und seine eigenen wissenschaftlichen Aufsätze in präparierten Spraydosen und Containern übergeben hatte. Auch der Staatsanwalt mußte zugestehen, daß der Professor zu keinem Zeitpunkt Personen verraten oder vertrauliche Materialien geliefert hatte. Alles, was er der Stasi zukommen ließ – Studien, Aufsätze, Konferenzprotokolle – hätte sich die DDR auf offiziellem Wege besorgen können. „Das war wohl als Einübung gedacht“, erklärte Verteidiger Nikolas Becker die seltsamen Begehren des Geheimdienstes. Dem von der Stasi als Spitzenspion auserwählten war dabei aber gar nicht wohl, „ich wollte nur politisch informieren, und kein Spion werden“, gab er vor Gericht kund. Um den der Stasi vorschwebenden beruflichen Aufstieg in ein Bundesministerium zu verhindern, habe er 1980 sogar eine feste Stelle bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Ebenhausen bei München gekündigt und sich im folgenden an der FU habilitiert. Aber: „Ich war zu schwach“, den Kontakt abzubrechen, so gab er zu.

Zu schwach und auch zu eitel. Detalliert schilderte der Angeklagte, wie ihn die Stasi an die Leine bekommen hatte. Der uneheliche Sohn einer Buchhalterin erlebte als Kind, wie seine Mutter von Familie und Behörden gedemütigt wurde. Als Student in West- Berlin engagierte er sich ab 1966 für den SDS, las Marx und Engels, Che Guevara und Frantz Fanon. Über einen Ost-Berliner Bekannten lernte er zwei angebliche Mitarbeiter des DDR-Außenministeriums kennen, mit denen er sich regelmäßig traf, um mit ihnen „über die Studentenbewegung zu diskutieren“. Als seine Mutter 1968 starb, hätten ihm die beiden 250 Mark als „Darlehen“ in die Hand gedrückt und versichert, in der DDR wäre sie besser behandelt worden. Jacobsen war so verzückt, daß er als Gegenleistung nach Kassel fuhr, um zu erkunden, ob rechtsradikale Störungen des bevorstehenden Besuches von DDR- Ministerpräsident Willi Stoph zu befürchten seien.

Das Tauschgeschäft formalisierte sich zunehmend: Für seine Doktorarbeit ließ er sich schwer zugängliches Material geben. Im Gegenzug belieferte er die Stasi mit Papieren aus der Stiftung, der er von 1974 bis 1987 als wissenschaftlicher Mitarbeiter angehörte. Die Aufwandsentschädigung der Stasi von 85.000 Mark habe für seine Auslangen nicht einmal annähernd ausgereicht. Er habe die DDR zu einem „offeneren Staat machen wollen“. „Das ist mir nicht gelungen, und das ist sehr tragisch“, sagte er. Ute Scheub