Scharping ist ohne Alternative

Auf ihrem Parteitag wird die SPD trotz allen Unmuts Scharping als Vorsitzenden bestätigen und die Frage der Kanzlerkandidatur vertagen  ■ Von Karin Nink

Bonn (taz) – „Die Zukunft gewinnen“ lautet das Motto des bevorstehenden Bundesparteitags der SPD in Mannheim. Bei der viertägigen Tagung, die am kommenden Dienstag beginnt, geht es allerdings nicht nur um die zukünftige Politik in Deutschland, sondern vor allem um die Zukunft der von Existenzängsten geplagten Volkspartei und um das politische Überleben ihres Vorsitzenden.

Dabei zweifelt zur Zeit niemand daran, daß Rudolf Scharping als Parteivorsitzender bestätigt werden wird. Schließlich will die Parteispitze allen internen Machtkämpfen zum Trotz Geschlossenheit demonstrieren, und die Basis wünscht sich nichts sehnlicher, als daß endlich wieder Ruhe einkehrt. Unsicher ist allenfalls, ob Scharping als Parteivorsitzender noch einmal das vorangegangene Ergebnis von 83,8 Prozent der gültigen Stimmen erreichen wird, schließlich mußte er sich als Fraktionsvorsitzender auch mit einem deutlich schlechteren Ergebnis begnügen. Die Delegierten aber werden ihn dennoch feiern – sie haben keine Alternative.

Gerade wegen der Geschlossenheit, die demonstriert werden soll, hoffen die Realisten unter den Kritikern auf eine klärende Auseinandersetzung gleich zu Beginn des Parteitages. Nur so kann verhindert werden, daß die ganze Veranstaltung zu einer Harmoniefeier verkommt, nach der die Querelen fortgesetzt werden. So dürfen am Dienstag ruhig die Fetzen fliegen. Wie sehr die Mitglieder an der Basis sich mit der Misere der eigenen Partei beschäftigen, zeigen die 85 der 359 insgesamt gestellten Anträge zu parteiinternen Fragen. Ausgelöst durch die Personaldebatte „Ist Schröder oder Scharping der bessere Kanzlerkandidat?“, gingen allein zur Urwahl des Kanzlerkandidaten mehr als zehn Anträge ein. Doch dieses heikle Thema will man auf dem Parteitag lieber umgehen: Die Antragskommission unter dem Vorsitz des saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine empfiehlt, jedes Begehren dieser Art bis zum nächsten Parteitag im Herbst 1997 zu vertagen. In Mannheim bestehe dazu keine Notwendigkeit, heißt das Argument, mit dem weiterer Ärger um diese Frage vermieden werden soll. Diese Haltung kann Scharping nur recht sein. Schließlich zeigt eine Stern-Umfrage unter 278 der 480 Delegierten, daß 59 Prozent zur Zeit für eine von Scharping abgelehnte Ämterteilung sind und nur 3 Prozent in Scharping den nächsten Kanzlerkandidaten sehen.

Neue Leute an die Spitze

Deutliche Zeichen in Richtung Zukunft will die SPD mit der Neubesetzung des Parteivorstandes setzen. Stimmen die Delegierten weitgehend für die Kandidaten- Vorschläge des amtierenden Parteivorstands, werden in dem 45köpfige Führungsgremium demnächst rund 20 Frauen sitzen. Für eine erkennbare Verjüngung der alten Tante sollen junge Mitglieder sorgen. Mit dieser Verjüngungskur soll die Partei wieder mehr Anziehung für die Generation unter 40 bekommen. Als deutliches Signal für die Zukunft läßt sich auch das Aufrücken des NRW-Superministers Wolfgang Clement und seines Kabinettskollegen, Finanzminister Heinz Schleußer, in den Parteivorstand deuten. Der Aufstieg der beiden und die offizielle Benennung von Franz Müntefering als Bundesgeschäftsführer zeigen, wie groß der Einfluß der NRW-SPD künftig auf die Parteispitze und auch auf Scharping sein wird.

Doch neben einer geschlossenen Parteiführung und einer Verjüngungskur braucht die SPD zur Stabilisierung wieder ein erkennbares und vermittelbares Profil. Das soll zum Beispiel das Papier „Arbeitsplätze für Deutschland“ liefern. Es soll am Montag vom Vorstand als Initiativantrag beschlossen werden und gilt als Kurskorrektur sozialdemokratischer Wirtschafts- und Finanzpolitik. Bei den Parteilinken stößt der Entwurf auf Kritik. Das Papier wurde unter der Leitung von Oskar Lafontaine erarbeitet, beteiligt waren aber auch Spitzenpolitiker aus Bund und Ländern wie Gerhard Schröder, Heide Simonis, der Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau, NRW-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, SPD-Sozialexperte Rudolf Dreßler und die Finanzfachfrau Ingrid Matthäus-Maier. Die Delegierten werden dort mit für die SPD so bemerkenswerten Sätzen konfrontiert wie: „Die Ansprüche an den Staat müssen zurückgenommen werden. Vieles, was wünschenswert wäre, ist nicht mehr finanzierbar. Mit einer konsequenten Sparpolitik muß für Bürger und Wirtschaft, für Kapitalmärkte und Bundesbank eine verläßliche Konsolidierungspolitik geschaffen werden.“ Oder: Um die Staatsfinanzen zu bezahlen, müßten „auf allen staatlichen Ebenen die Konsolidierungsanstrengungen verstärkt werden“. Zwar steht die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nach wie vor im Mittelpunkt, doch plädieren die Verfasser auch ganz klar für eine Flexiblisierung der Arbeitszeit, für lange Maschinenlaufzeiten und für Jahres- und Lebensarbeitszeitkonten. Auch wenn auf dem Parteitag keine Richtungsentscheidung getroffen wird: Er muß zumindest für eine Stabilität sorgen, die bis ins Frühjahr hält. Schon im März werden drei Landtagswahlen über das weitere Schicksal der Partei und des Vorsitzenden entscheiden.