Wenn dem Gespenst der Luftballon geklaut wird

■ Memory-Meisterschaften in Hamburg: (K)Ein Kinderspiel für Erwachsene mit Hang zu Anarche und Assoziation Von Folke Havekost

Seien wir ehrlich: Wen von uns haben nach der Kinderzeit nie mehr die Geheimnisse interessiert, die sich um das Umdrehen dieser kleinen quadratischen Kärtchen ranken, die der hierzulande führende Spielehersteller den Kids alsMemory anpreist? Aber selbst spielen, in Wettbewerben gar? Na ja.

Fünfzehn Memory-Freaks, überwiegend Twens, kamen am Wochenende in die Kneipe A Hereford Beefstouw am Schopenstehl, um den Hamburger Meister zu ermitteln, bereits zum sechsten Mal seit 1990. Benutzt wird das Kinder-Memory-Set von Ravensburger, 64 Karten in acht Achterreihen auf den Tischen verteilt. In der Profi-Kategorie sind blaue Folien über die Deckseiten der Karten gezogen: Der Schriftzug im Original ist verschieden geschnitten, die Karten für geübte SpielerInnen so erkennbar. Zusätzliche Kosten: Fünfzehn Mark pro eingehülltem Set. Ein normales Spiel kostet im Laden um die elf Mark.

Als das Regelwerk verkündet werden soll, herrscht muntere Gesprächigkeit unter den GegnerInnen. Dem Eindruck, hier handle es sich um etwas groß geratene Kinder, wird von der Inszenierung nicht gerade widersprochen. „Einmal Ruhe jetzt“, führt Karsten Schöllermann, Manager der Gesellschaft der Freunde des Memory-Spiels (GFMS) Regie im Hort. Mit einem kollektiven „Deck auf!“ beginnt das Pärchensammeln.

Warum ein solches Turnier? Die Frage, ob man dadurch verrückt werden kann oder es schon sein muß, bleibt unbeantwortet. Schöllermann gibt sich anarchisch: „Erstmal macht es Spaß, weil es totale Verarschung ist, als Erwachsener ein Kinderspiel zu spielen. Jede Tennis-Rangliste wird durch die Memory-Rangliste ausgestochen.“ An den Tischen lichtet sich mit zunehmender Spielzeit das Geschehen, immer mehr Pärchen werden abgeräumt: Drache zu Drache, Buntstifte zu Buntstiften, Ballon zu Ballon. Nur die Feuerwehr ist ausgeschlossen. Das ursprüngliche Spiel mit 33 Paaren paßte nicht ins 8x8-Raster – der Brandschutz mußte weichen.

Ermüdet von den eher langweiligen Motiven der Standard-Version entwickeln sich in den Pausen die Fachgespräche der Insider. Thema sind rare, kunstvolle Ausgaben: Ein schweizer Spiel nur mit Turmuhren, eine österreichische Variante mit Bildern von Gustav Klimt. Oder Öko-Memory, bei dem zu verpackten Warenpaaren zusätzlich eine „Entsorgungskarte“ gefunden werden muß.

„Überall in verborgenen Winkeln spielen Erwachsene und finden's toll“, beschreibt GFMS-Präsident Erik Ecker die Situation des „Schachs für kleine Leute“. Einige, wie Jana Kosanke (25), die die Erwachsenenrunde gewinnt (Kinder: Gloria Brilowska, 8; Profis: Stephan Friese, 21), basteln selbst Spiele. Einhelliger Tenor: Ravensburger, mit Copyright auf den Namen, entgehe einiges dadurch, daß für Memory nur als Kinderspiel geworben wird.

Memory-SpielerInnen verfügen über zwei Wege zur Weisheit. Während die einen gern mit Koordinatensystemen (“54“ = fünfte Reihe, vierte Karte etc.) arbeiten, nutzen andere bevorzugt ihre assoziativen Fähigkeiten. Wie das geht, demonstriert Hamburgs Meisterin Cynthia Willmann (27): „Der Motorradfahrer klaut im Schloß dem Gespenst den Luftballon.“ – so bleibt eine Viererreihe im Gedächtnis.

Karsten Schöllermann klärt abschließend darüber auf, wann beim Memory erworbene Fähigkeiten im Alltag anwendbar sind: „Wenn man telefoniert und gleichzeitig eine Rechenaufgabe lösen muß.“ Und wie lautet die Quersumme ihres Gesprächspartners?