„Träume hab' ich mir abgewöhnt“

■ Nach Dylan und Jagger erwischt–s jetzt auch Michael Herrmann: Der Ex-Galier und Unruhestifter aus Passion wird morgen runde 50

Michael Herrmann wird 50. Anlaß für einen Besuch beim Chef der Handwerksgenossenschaft Lerchenhof im Schanzenviertel. Der einstige Gal-Bürgerschaftsabgeordnete sieht sich in der alternativen Sanierungsfirma aber selbst lieber als „Geschäftsfühler“ denn als „Führer“ der rund 30 MitarbeiterInnen, Ex-Junkies, Langzeitarbeitslosen und gestandenen Handwerkersmeistern, die die Mitarbeiter ausbilden und anleiten. Seine Stelle wurde allerdings schon Anfang des Jahres gestrichen, so daß er heute mit Arbeitslosenhilfe über die Runden kommen muß – und das bei einer „70-Stunden-Woche“.

1968 politisiert, hat sich Herrmann mit seinem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn auch in den vergangenen Jahren immer für Menschen am Rand eingesetzt, im Häuserkampf ebenso wie für arbeitslose Jugendliche, für Kinder auf St. Pauli, Roma im Karoviertel, HIV-Positive und Drogenabhängige.

Seinen Sinn für Humor bewies Herrmann im Rathaus, das er auch mal barfuß aufsuchte („Gibt es vielleicht –ne Vorschrift, daß man hier Socken tragen muß?“), oder wenn er den dürftigen Warenkorb eines Sozialhilfeempfängers auf dem Rednerpult zur Demonstration in der Bürgerschaft ausbreitete.

Anfechtungen aber ist der gebürtige Tiroler seit Kindesbeinen gewohnt. Er flog aus mehreren Hamburger Schulen, fiel bei der Marine wegen Befehlsverweigerung auf, brach wegen der „ganzen rechten Socken an der Hannoveraner Uni“ sein Maschinenbaustudium ab und studierte später Jura in Hamburg.

In den vergangenen zehn Jahren beschäftigten ihn besonders die Auseinandersetzungen um die Hafenstraße und der Polizeikessel 1986. Mit der Polizei hat sich der Querdenker ohnehin oft und gerne angelegt und umgekehrt.

Nach Persönlichem befragt wird der Vater einer 26jährigen Tochter („68 gezeugt“) wortkarg. Sein letzter Urlaub war 1987, so viel mag der Workoholic noch verraten. Daß er nicht abschalten könne, hält er für einen seiner großen Fehler. Nach Stärken gefragt, muß er nachdenken: „Vielleicht meine Geduld und Ungeduld“.

Zu träumen, sagt er, habe er sich abgewöhnt. „Es wär schon was, die Alpträume zu verhindern“, seufzt er. Er selbst wünscht sich zum Geburtstag genug Kraft, so weitermachen zu können wie bisher und „trotz allem“. Polly Schmincke/taz