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Der gute Tod in Oldenburg

■ „Oldenburger Leichenpredigten“: Erkenntnisse vom Sterben in der Frühen Neuzeit / Von der Allgegen-wärtigkeit des Todes bis zur schlichten Anzeige

Wenn es denn einen Trost gibt für die Hinterbiebenen, ist es der: Das Ende des teuren Verblichenen war kurz und schmerzlos. Solch ein Ende wurde nicht zu allen Zeiten als erstrebenswert angesehen. Im Gegenteil: Der plötzliche Tod galt noch vor zweihundert Jahren als schreckliches Unglück. Der gute Tod nämlich brauchte seine Zeit. Die Dinge mußten geordnet werden: Es hieß Abschied nehmen von Familie, Freunden und ggf. Gesinde. Der Pfarrer war da, die Beichte abzunehmen. Erbauliche Gespräche und Lieder halfen in den dunklen Stunden. Kam der geliebte Tote dann unter die Erde, gab es zumindest bei besseren Leuten umfangreiche Leichenpredigten, teils dem Toten zum Ruhme, teils den Überlebenden zur Ermahnung. Solche Leichenpredigten wurden – das war im 16. bis zum frühen 18. Jahrhundert, der frühen Neuzeit, unter Reichen geradezu eine Mode – in kleiner Auflage gedruckt und gebunden. Etwa 400 solcher Schriften sind in der Region Oldenburg bekannt. Die Oldenburger Historikerin Heike Düseler arbeitet mithilfe dieser Quellen an einem regionalgeschichtlichen Projekt namens „Tod in Oldenburg“.

Die Literaturgattung Leichenpredigt verspricht interessante mentalitätsgeschichtliche Erkenntnisse, weil in ihrer besten Zeit sowohl noch spätmittelalterliche Einflüsse wirken als auch schon Anfänge der Aufklärung.

Die ersten verfügbaren Leichenpredigten sind fromme Traktate und zeichnen einen „idealen“ Verlauf des Sterbens nach. Der Tod ist noch allgegenwärtig und unberechenbar. Pest, Cholera, Kriege und Naturkatastrophen raffen Säuglinge und Greise wahllos dahin. Die Kirche bringt Ordnung in diese Wirrnis. Erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts findet man immer öfter biographische Notizen in den Leichenpredigten, bis es im 17. Jahrhundert fast nur noch um den Verstorbenen geht und seine Haltung im letzten Stündlein.

Im 18. Jahrhundert verschwindet der Tod aus dem Leben und die Religion aus den Predigten, die immer mehr die Form einer Biographie annehmen. Gleichzeitig übernimmt die private Todesanzeige in der Zeitung die Funktion, etwas Bleibendes zu hinterlassen.

Kein Zufall ist, daß 1791 der innerstädtische Friedhof in Oldenburg in ein Gebiet außerhalb der Stadtgrenze verlegt wurde. BuS

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