Trotzig, überzeugt und gelassen

■ Berichterstattung von unten hat in Mitte und Prenzlauer Berg einen Namen: Seit fünf Jahren versorgt der "Scheinschlag" die Ostberliner Bezirke mit Kultur, Baupolitik und Einsprüchen

Eine Zeitung, die (fast) überall ausliegt, nichts kostet und dennoch viel zu sagen hat – das ist der Scheinschlag aus Mitte und Prenzlauer Berg. Fünf Jahre wird das Blatt nun alt, Grund genug für die ZeitungsmacherInnen, heute abend im Café Paz in der Rosenthaler Straße 51 zu feiern. Fünf Jahre Scheinschlag sind fünf Jahre unabhängige Berichterstattung von unten; über Bau- und Wohnungspolitik, das oft undurchdringliche Kultur- und Kunstgeschehen in Mitte und Prenzlauer Berg und das Verlagswesen Ost: So heißt es in einer Rezension schon einmal, daß man in überflüssige Zeitungen wenigstens frische Fische einwickeln könne. Was aber mache man mit überflüssigen Büchern?

Überflüssig war der Scheinschlag noch nie. Im Gegenteil: Manchmal wünschte man sich eine Stadteilzeitung solchen Zuschnitts auch für andere Bezirke. Solide Information, Meinungsfreudigkeit und eine Abscheu gegen alles Etablierte sind Ingredienzien für eine Gegenöffentlichkeit, deren Ursprung im „Jahr des Möglichen“ 1990 liegt. Angefangen hat alles in einem besetzten Haus in der Steinstraße 8 in der Spandauer Vorstadt.

Die „Zeitung aus Mitte“, wie sich das Monatsblatt nannte, sollte überall und umsonst erhältlich sein. Für Willy Ebentreich, Kosmopolit und Organisationstalent gab es damals nur eine Lösung – eine möglichst hohe Auflage, um das eigenwillig (und zumeist leseunfreundlich) gestaltete Blatt für Anzeigenkunden attraktiv zu machen. Die Quadratur des Kreises gelang: Der Scheinschlag lebte und er lebt. Nach einer Absicherung als ABM-Projekt finanziert sich das Blatt jetzt wieder über Anzeigen. Heute residiert die Zeitung in einem ehemals besetzten Haus in der Ackerstraße 179/180 und will sich durch einen Förderkreis eine halbwegs gesicherte finanzielle Basis verschaffen.

Daß es den Scheinschlag – allen Krisen zum Trotz – noch gibt, liegt an der Zeitung selbst. Für Ulrike Steglich, seit 1991 Mitarbeiterin, ist er „ein Phänomen an sich“. Er ist mit einer Auflage von mittlerweile 50.000 ein Massenblatt, ohne Anzeigengazette zu sein, er bietet Raum für eine Sanierungsbeilage, die vom Bezirksamt finanziert wird, aber zugleich auch Platz für kompromißlose Wortmeldungen, die für ein administratives Verbot noch immer gut genug sind. Seit 1993 darf der Scheinschlag auf Weisung des Noch-SPD-Bezirksfürsten Keil nicht mehr im Bezirksamt oder in Volkshochschulen ausliegen. Der Grund: In einem Beitrag wurde behauptet, daß es Alternativen zur herrschenden Politik, wenn überhaupt, nur noch bei der PDS oder bei Bündnis 90/Die Grünen auszumachen seien.

Fünf Jahre Scheinschlag sind für Redakteurin Steglich zugleich fünf Jahre, in denen sich eine zunehmende Selbstbehauptung im Osten beobachten läßt. Eine Mischung aus Trotz, Überzeugungstäterei und Gelassenheit. Das hat den Bezirken Mitte und Prenzlauer Berg den Ruf verliehen, in der Mitte des kulturellen Hauptstadtgeschehens zu stehen. Der Scheinschlag hat dafür in bislang mehr als 100 Ausgaben durchaus seine Beiträge geleistet: mit einer kontiniuierlichen Berichterstattung als Institution einer regionalen Öffentlichkeit, die aus Mitte und Prenzlauer Berg nicht mehr wegzudenken ist. Uwe Rada