Fitness für die Faulen

Die neue Softfitness für den behäbigen Wohlstandsbürger kommt aus den USA: Walking trainiert schonend und ohne viel Anstrengung  ■ Von Norbert Seeger

Wenn einen plötzlich im Wald, in der Einkaufsstraße oder auf dem Sportplatz sportlich gekleidete, leicht verschwitzte und trotzdem lachende Menschen, die noch miteinander reden können, umrunden, weiß man nur: Jogging machen die nicht. Aber was dann? Sie „walken“.

Erfunden wurde die neue Softfitness ausgerechnet in dem Land, in dem das Autofahren als die natürlichste Art der menschlichen Fortbewegung gilt: in den USA. Dort zählt die „Walking“-Gemeinde inzwischen rund 80 Millionen US-Amerikaner. Geschaffen wurde das Walking vor allem für jene Menschen, die mit Bewegung bisher nichts am Hut hatten. Ziel des Walking ist es, den Körper durch ein schnelles „Spazierengehen“ körper- und gelenkschonend zu bewegen. „Man kommt hierbei zwar auch ins Schwitzen, fühlt sich aber nicht so angestrengt wie beim Joggen“, erklärt Heinrich Froböse von der Sporthochschule Köln. „Anderthalb Stunden joggen haben den gleichen Effekt wie ein sechseinhalbstündiger Spaziergang. Und eine Stunde walken ist immerhin noch wie drei Stunden spazierengehen.“ Walken ist eine ganzheitliche Körperbewegung, auch die Arme werden bewegt. Dadurch verbrennt man viermal mehr Kalorien als beim gemütlichen Durch-die-Gegend-Schlendern.

Vor zirka sechs Jahren drang die Kunde von dieser neuen Form der Beinbewegung über den großen Teich nach Deutschland. Sehr verbreitet ist sie allerdings noch nicht. In Deutschland beteiligten sich am 15. Oktober gerade mal 20.000 Walker am „World-Walking-Day“. „Walking ist einfach zu unspektakulär, deswegen wissen auch viele Menschen noch nichts davon“, sagt Klaus Bös, Professor für Freizeit- und Gesundheitssport an der Uni Frankfurt. „Zum einen passiert beim Walken nicht allzuviel. Zum anderen walkt hier keine bekannte Persönlichkeit, wie zum Beispiel bei Aerobic.“

Im Gegensatz zu anderen Ausdauersportarten hat dieser Sport dabei durchaus Vorteile. „Walken kann jeder, egal ob alt oder jung, dünn oder dick, trainiert oder untrainiert. Man braucht kein Vorwissen, kann sich dabei unterhalten und steht nicht in Konkurrenz zu anderen.“ Die typische Klientel fürs Walken seien deshalb Menschen über dreißig, die nie oder nur sehr unregelmäßig Sport treiben. Und das sind 90 Prozent. Dabei ist Bewegung gerade ab Dreißig sehr wichtig. Denn, so Bös, ab diesem Alter könne Bewegungsmangel zu einer Vielzahl von Krankheiten führen. In dem Alter fühlen sich viele zudem allmählich für jede Art der körperlichen Betätigung zu alt. Und das wird schlimmer, je älter die Leute werden. Mit Walken können die Menschen wieder behutsam an die Bewegung herangeführt werden. „Wenn es uns gelingt, 20 dieser 90 Prozent vom Walken zu überzeugen, wäre es die erfolgreichste Sportart, die es jemals gegeben hat“, resümiert Bös.

Auch die AOK ist inzwischen auf das Walken aufmerksam geworden – als probates Mittel zur behutsamen Gesundheitserneuerung der autofahrenden Nation. In Zusammenarbeit mit Klaus Bös hat die Kasse ein Handbuch zum Thema Walken fürs fußlahme Volk herausgegeben.

Auch Sportärzte sehen im Walken eine Möglichkeit, um viele der „Zivilisationskrankheiten“ in den Griff zu bekommen. Denn Walken soll nicht nur gegen körperliche, sondern auch gegen geistige Beschwerden helfen. „Das entspannende Element beim Sport ist sehr wichtig“, sagt Herbert Löllgen vom Deutschen Sportärztebund. „Deswegen ist Walken gerade für Berufstätige, die unter Streß stehen, sehr geeignet. Einerseits stärken sie damit auf wenig beanspruchende Weise ihren Körper, andererseits bauen sie Spannungen ab.“

Der Deutsche Leichtathletik- Verband (DLV) hat bereits die praktische Verbreitung des sportlichen Gedankens in Angriff genommen. So bietet der DLV jetzt zu immer mehr seiner rund 3.000 Lauftreffs auch einen Walking- Treff an. Und das bald flächendeckend. „Hier können sich die Leute während des Laufens unterhalten, anstatt gegeneinander anzutreten. Und gerade dazu sind Sportvereine ja auch da: um die Geselligkeit zu fördern.“ Da bleibt für alle über Dreißigjährigen „lonely hearts“ nur eins: „I'm walking ...“

Infos über Walking-Treffs (auch in Berlin) in der DLV-Zentrale in Darmstadt, Tel. 06151/8809-59