Eine schlichte Antiquität in der Nordsee

Helgoland will sich vom Drogenimage verabschieden. Nicht mehr Zigaretten und Alkohol sollen das Angebot beherrschen, sondern Dinge für eine bessere Kundschaft. Ein Lagebericht von der deutschesten aller Inseln  ■ Von Jan Feddersen

Schon in der deutschen Straßenverkehrsordnung wird klargemacht, daß es sich bei Helgoland um einen besonderen Artikel handelt. Ausnahmsweise wird dort vermerkt, daß auf der Nordseeinsel neben dem Autofahren selbst das Benutzen von Velos nicht erlaubt ist – abgesehen von der Zeit, da keine Touristen zugegen sind, also eigentlich nie.

Überhaupt spielt Helgoland in der deutschen Seele ungefähr die gleiche Rolle wie Gotland für die Schweden, die Isle of Wight für die Briten und Capri für die Italiener: irgendwie noch Heimat, doch schon entrückt, weil im Meer liegend. Helgoland – das bedeutet einen Assoziationsreigen mit Stichworten wie Nationalhymne und Hoffmann von Fallersleben, Eintausch gegen Sansibar, Militärstützpunkt der Nationalsozialisten, Durchhaltewillen wider die Reparationsanliegen der Alliierten und Einkaufsparadies des Wirtschaftswunderlandes.

Doch „die Zeiten sind rauher geworden“, sagt Kurdirektor Michael Krause. Der Berliner ist für ein ambitioniertes Projekt angeheuert worden: Helgoland muß modern werden. Krauses Programm: „Die gute Luft tut Allergikern gut.“

Die ersten Touristen der Nachkriegszeit, die auch des Mythos wegen kamen, daß das Eiland den britischen Bombern standgehalten hat, diese ersten Gäste sind im Grunde immer noch da. Sie schert nicht, daß sich die Altersstruktur der Einheimischen der eines Feierabendheims annähert. Es kümmert sie kaum, daß die Zimmer die Gediegenheit der fünfziger Jahre ausströmen und das gesellschaftliche Klima rein optisch von Dingen wie Bamawäsche und beigen Rollkragenpullovern mitbestimmt wird.

Geld investierten die Einwohner Helgolands keines in ihre Immobilie. Gerade von Mitte der sechziger Jahre bis weit in die achtziger Jahre hinein verdienten Hoteliers, Ladeninhaber und Gastwirte sich goldene Nasen an den Tagestouristen. Bauwillige wurden sogar abgeschreckt. Vor zehn Jahren wollte ein privates Konsortium eine Hotelanlage bauen – und scheiterte an der Obstruktion der Helgoländer, weil sie um ihre Gäste fürchteten. Sämtliche anderen Bauvorhaben stagnieren – und Helgoland ist heute hoch verschuldet. Mit 23 Millionen Mark steht die Insel in der Kreide – was umgerechnet auf die 1.700 Bewohner einsame Spitze in Deutschland ist.

Eine gründliche Renovierung täte not. Doch die alten, besseren Zeiten sind an jeder Ecke Helgolands zu besichtigen. 30 Meter vor dem Ponton, von dem aus die Börteboote die Tagesgäste wieder auf ihre Schiffe zurückschippern, steht als Mahnung: „Letzte Tankstelle“ – was durchaus ernstgenommen werden muß. Dort befindet sich der allerletzte Laden, in dem zollfreie Getränke gekauft werden können. Tanken – ein Wort, das in Kreisen derjenigen, die man auf Helgoland unbedingt als Kunden gewinnen will, nicht zum Alltagsvokabular gehört. Der Kurdirektor betont: „Wir wollen an die Elite heran.“

Seit Mitte der fünfziger Jahre war ein Schiffsausflug nach Helgoland so eine Art Ersatzkaffee für diejenigen, die sich den echten Kaffee in Form einer luxuriösen Kreuzfahrt nicht leisten konnten. Die Restaurants tragen dieser Klientel Rechnung: Ein schlichtes Angebot zwischen „Althelgoländer Moccastuben“, „Störtebeker“ oder „Wiesbaden“ erwartet die Besucher.

Die Gelüste Arrivierter werden kaum bedient, auch nicht der Ökomarkt: Es fehlen Teestuben wie auf Amrum oder Wolländen, die auf Spiekeroog zu finden sind. Helgoland bedient ein anderes Marktsegment. Es verdient an den Parfümerien, dem Tabak- und Alkoholhandel sowie an den diversen Militär- und Forschungseinrichtungen des Bundes. Allein: Die Tagesgäste, die der steuerenthobenen Waren wegen kamen, bleiben zusehends aus. Früher kamen 400.000 Menschen im Jahr zu Besuch, seit zwei Jahren sinkt deren Zahl unaufhörlich in zweistelliger Prozenthöhe.

Helgoland gibt sich ratlos. „Ist die Insel nicht schön?“ fragen die Leute. Immerhin findet man auf Helgoland den unverfälschten Stil der fünfziger Jahre: Eternitfassaden, große Fenster – und das alles einheitlich, fern aller Backsteinromantik, mit denen deutsche Dörfer und Städte die Jahrzehnte zuvor bepflastert wurden.

Jetzt werden an der verlängerten Promenade die Fischerhäuschen aufgepeppt. Dort soll der gehobene Boutiquenbedarf feilgeboten werden – für Segler und eben jene Elite, von der inzwischen alle Kurdirektoren von Helgoland bis Bad Reichenhall träumen.

Gleich hinter den Fischerhäuschen steht ein Pavillon mit Edelfischrestaurant im Erdgeschoß. Doch alle Mühe scheint umsonst: Selbst dort wirkt die Insel noch wie eine von Spundwänden eingefaßte Festung. Das ist sie tatsächlich: Eingerahmt von Metallzäunen, weil sonst die Herbst- und Frühjahrsstürme allzusehr am Ufersaum knabbern würden. So kommt Helgoland abweisend daher wie ein Refugium, das vor jeder Moderne schützt.

Als liebliche Insel präsentiert sich auch die Düne nicht, ein der Hauptinsel vorgelagerter Flecken Sand, wo tagsüber die Dauergäste zum Baden hinübertuckern: Ein Badestrand, einige Imbißstände, der Flughafen dort, aber kein Badeleben, das diesen Namen verdient. Die touristischen Anlagen genügen schon lange nicht mehr den Ansprüchen einer weitgereisten Kundenklientel: Das Aquarium beispielsweise ist geschlossen – wegen Baufälligkeit.

Detlev Rickmers, mit seiner Frau Kathrin Inhaber des modernsten Hauses am Platz, dem „Hotel Insulaner“, erklärt die Misere: „Viele kommen wegen der Zeitlosigkeit des Ambientes. Und damit wird es schwierig, neue Leute zu gewinnen.“ Er selbst setzt auf die Zukunft und darauf, daß die Kinder der Hoteliers ihre auf dem Festland gewonnenen Vorstellungen auch auf Helgoland umsetzen. Seine zwei Häuser möbliert Rickmers durchweg ökologisch korrekt, luftig im Arrangement zudem, angereichert durch Freizeitangebote (Galerie, Lesungen) für seine Kunden.

„Früher war Helgoland ein mondäner Kurort, die Hautevolee erholte sich hier. Da müssen wir wieder hin“, sagt Ex-Bürgermeister H.P. Rickmers. Träume, die von der Angst diktiert werden, daß die Verwaltung der Europäischen Union wahrmacht, was sie länger schon angekündigt hat: Helgoland den Status von Zollfreiheit zu entziehen. Das könnte 1999 in die Tat umgesetzt werden; dann droht der Insel wirklich das Aus: Wer will schon nach Helgoland fahren, um sich dort neppen zu lassen, ohne wenigstens billig qualmen zu können?

Ein mondäner Kurort: Diese Idee umzusetzen, bleibt nun Kurdirektor Krause überlassen. Viel Unterstützung bekommt er aus dem Rat der Insel nicht. Die meisten derjenigen, die am Inselboom verdienten, haben ihr Geld auf dem Festland angelegt. Sie brauchen kein modernes, schick gemachtes Helgoland. Krause gibt sich tapfer. Er hat schon mal ein neues Logo designen lassen. „Helgoland – meine Insel“ ist darauf zu lesen. Eine farblose Botschaft. Aber der Kurdirektor weiß: „Aller Anfang ist schwer.“