Traum von neuer Noblesse

Das Seebad Heiligendamm an der Ostseeküste Mecklenburg-Vorpommerns ist seit Jahren erfolglos zum Verkauf ausgeschrieben. Die historische Anlage bröckelt derweil vor sich hin  ■ Von Edith Kresta

Einsteigen! Volldampf voraus! Zwischen Bad Doberan und Kühlungsborn an der Küste Mecklenburg- Vorpommerns bläst die Schmalspurbahn Molli ihre braunen Dampf in die Seeluft. Eisenbahnromantik pur. Das museumsreife Liebhaberstück ist die touristische Attraktion an diesem Küstenstreifen. Der alte Molli war für die Bahn AG nicht mehr rentabel. Ab 1.1. 96 sollte deshalb der Betrieb eingestellt werden. „Er hat den Krieg überstanden, den Sozialismus, nur den Kaptitalismus wird er möglicherweise nicht überstehen“, sinniert leicht vergrätzt der Verkäufer am Imbißstand. Zu unrecht. Private Initiative und kommunale Gelder lassen den Molli weiter durch die Buchenwälder schnaufen. Anfang Oktober wurde er zu 98 Prozent vom Landkreis und der Gemeinde Bad Doberan übernommen. Gemanagt wird er fürderhin von einer privaten Betreibergesellschaft.

Während die Zukunft des Mollis gesichert scheint, bröckelt das Ostseebad Heiligendamm vor sich hin. Heiligendamm ist die Molli- Stadion zwischen Bad Doberan und Kühlungsborn. In diesem Ortsteil Bad Doberans wurde 1793 das älteste Seebad Deutschlands von Herzog Franz I. von Mecklenburg errichtet. Der Molli brachte ab 1886 die Kurgäste zur Gesundung ans Meer. Die Kuranlage und die dazugehörigen Gebäude im englischen Landhausstil sind eine kleine Stadt für sich. Diese „weiße Stadt am Meer“, so der Prospekt, hat Patina angesetzt und dämmert vor sich hin. In der klassizistischen Anlage am Seedamm ist noch etwas von der Weitläufigkeit und Großzügigkeit vergangener Zeiten zu spüren. Sie ist das historische Kapital Heiligendamms. Ein eindrucksvolles Ensemble, an dem der Zahn der Zeit heftig genagt hat.

Das Kurhaus hat heute zwar ein Gerüst. Dieses steht aber nicht für Erneuerungswillen, sondern zum Schutz: eine Vorsichtsmaßnahme, um das Gebäude abzustützen, damit der Putz nicht gemeingefährlich nach unten stürzt. Neben verfallender Kuranlage hat Heiligendamm nicht viel zu bieten. Das enge Spargeschäft erinnert an kindliche Kaufladenspiele. Von der Kraftbrühe über Pulverkaffe bis zum Waschpulver ist das Notwendigste in begrenzter Auswahl vorrätig. Die gegenüberliegende Drogerie befriedigt bescheidene Konsumwünsche zwischen Nylonpullover und Eau de Cologne. Weiter unten am Strand in den Kolonnaden der historischen Kuranlage können die Besucher die Tageszeitung oder überregionale Illustrierte erstehen und sich damit im Kur- oder Schwanencafé niederlassen. Damit hat der Tourist sämtliche Angebote Heiligendamms abgeklappert. „Hic te laetita invitat post balnea sanum – Frohnsinn empfange dich hier, entsteigst du gesundet dem Bade“, steht in großen Lettern an der Kurhausfassade. Hier im Kurhaus soll sich schon bald die Glückskugel drehen. Die benachbarte Kurklinik wurde auch in der DDR als „Sanatorium der Werktätigen“ geführt. Nun werden sie von einem westdeutschen Unternehmen, der Marx-Gruppe, belegt. Die Marx- Gruppe ist an einer Sanierung der alten Kliniken nicht interessiert. Die dafür nötigen Kosten rechnen sich für einen kassenärztlichen Betrieb nicht. Das Unternehmen wird in Heiligendamm neu bauen. Das Grundstück wurde bereits erworben.

Bis der Neubau fertig ist, bleiben die Kurgäste in den renovierungsbedürftigen Unterkünften am Damm. Dort können sie völlig konzentriert kuren. Nichts stört die Stille. „Früher, zu DDR-Zeiten, gab es hier wenigstens noch Kurkonzerte, heute ist gar nichts mehr los“, jammert ein Kurgast, der sich auskennt.

Für die historische Anlage am Damm wird ein neuer, kapitalkräftiger Investor gesucht. Seit Jahren. Stadtväter und Anwohner Heiligendamms träumen seit Wendezeiten von der Wiedererweckung alter Pracht, von Spielcasino und der besseren Gesellschaft. Diese soll sich hier bei Kur, Golf und Pferderennbahn vergnügen. Heiligendamm soll ein Nobelkurort werden. Ein bißchen Wellness, wie diese schicke Kurform heißt, für Großverdiener.

Doch die hochherrschaftliche Vergangenheit läßt sich nur schwer in der Zukunft wiedererwecken. Der Hang zur Noblesse blieb bislang ungestillt. Zwar gibt es inzwischen zwei Restaurants, ein Hotel und eine Pension als Vorboten neuer touristischer Größe. Aber diese stehen einsam zwischen heruntergekommener Bausubstanz. 400 Millionen Mark, schätzen die Experten, kostet die Sanierung der unter Denkmalschutz stehenden Anlage.

Das Strandbad, welches 1899 an die Kriegsmarine verkauft wurde, gehört heute zum größten Teil dem Bund. Um die historische Anlage zu erhalten, sollte es bislang im Paket verkauft werden. Vor zwei Jahren wurden Verhandlungen mit der Asklepios-Kliniken GmbH aus dem Taunus zunächst erfolgreich abgeschlossen. Doch diese sprang wieder ab: Aufgrund der Schwierigkeiten eine geeignete Hotelbetreibergesellschaft zu finden und, so wird gemunkelt, wegen der Schwierigkeit, ein Luxusbad neben einer Klinik der Landesversicherungsanstalt zu bewirtschaften.

Im Dezember dieses Jahres soll nun eine eine neue Entscheidung über die Zukunft Heiligendamms fallen. „Es sollen sich einige vielversprechende Investoren auf die Auschreibung von Heiligendamm beworben haben“, so der Landrat Thomas Leuchert. Wegen des hohen Investitionsvolumens macht man inzwischen Abstriche vom Gesamtverkauf der Anlage. „Es wird auch ein Einzelverkauf erwogen“, meint Leuchert.

Während die ehrgeizigen Pläne für Heiligendamm nun seit Jahren in der Schublade schlummern, hat der Ort immerhin eine Seebrücke bekommen. Nicht unbedingt richtungsweisend für einen zukünftigen Nobeltourismus, aber immerhin beliebter Treffpunkt der Bewohner. Dort geht Mann abends zum Angeln. Vorbeischlendernden Kurgästen geben die Angler gern Auskunft. Wie die zu DDR- Zeiten alle drei Jahre frisch getünchten Häuser heute mehr und mehr verkommen; wie der im benachbarten Bürgerende wohnende, ehemalige Verkehrsminister Günter Krause von den westdeutschen Medien systematisch abgebaut wurde, wegen staatlich subventionierter Putzfrau und so; wie dieser Minister a. D. zum Nutzen der Region den Ausbau der A20 verteten hätte und wie sich westdeutsches Kapital und westdeutsche Erben hier eingenistet hätten und die Einheimischen weiterhin in den Mond schauen. Anglerstimmen. Nicht unbedingt repräsentativ. Aber ein Barometer für die Stimmung. Und die ist kühl und bedeckt. Kein Wunder. Mit Volldampf voraus fährt hier nur gemütlich der Molli. Ansonsten bewegt sich nicht viel.