Suhler Sepp in Ekstase

Beim Kabarettfestival in Suhl wurden gegeißelt: Müllberge, Moruroa und Mallorca-Touristen  ■ Von Gerhard Henschel

Architektonisch besticht das thüringische Suhl durch eine gewisse Weltraumbahnhofhaftigkeit. Ein ausgeschlachtetes Hochhaus steht als Blickfang im Zentrum, doch in der Lokalzeitung Freies Wort Suhl spricht einmal täglich die überaus bodenständige, dialektfeste Cartoonfigur „Suhler Sepp“ den Einwohnern aus dem Herzen: „Seit die Busfahrerei teurer is', geht's bei mich so hurtich doe Röder einerhi“.

In Suhl hat man Humor, und man will hoch hinaus. Am vergangenen Wochenende wurde im Haus der Philharmonie Suhl das 5. Kabarettfestival der Bundesvereinigung Kabarett e. V. ausgetragen, einer 1990 in Leipzig gegründeten Organisation, die jeden Kabarettisten aufnimmt und mittlerweile 120 Mitglieder hat, Profis und Amateure. Die Bundesvereinigung, die sich selbst als stetig größer werdende „Familie“ bezeichnet, ist zu Scherzen aufgelegt; das teilt der Vorstand in der Festivalbroschüre mit: „Unser Festival findet nun zum zweiten Mal in Suhl statt, und wir möchten nicht versäumen, dem Haus Philharmonie, der Region und dem Land Thüringen sowie allen Helfern und Unterstützern zuzurufen: ,Macht weiter so, wir kommen auch 1996 wieder, denn es war ächt kuhl hier. Danke!‘“

Aber ist der Familiensinn nicht eine Domäne des Bundeskanzlers? Und ist das Kabarett überhaupt eine förderungswürdige Kleinkunstform, ohne die wir alle ärmer, trauriger und dümmer wären? Oder ist es eher eine Rumpelkammer, in der sich mäßig begabte Grimassenschneider und mürrische Routiniers tummeln, die es komisch finden, die Wörter „Treuhand“, „Moruroa“ und „Bundeskanzler“ auszustoßen? Brauchen wir das Kabarett?

Einer jedenfalls braucht es: Suhls Oberbürgermeister Martin Kummer. „Dieses Kabarettfestival bereichert das kulturelle Leben unserer Stadt um eine wesentliche Nuance“, erklärt er. „Die Nöte und Nötigungen, aber auch die Chancen und Verheißungen der deutschen Vereinigung in ausgewählten, skurrilen oder komikgeladenen Szenen Revue passieren zu lassen, das dürfte für Teilnehmer, Gäste und Besucher dieser 5. Kabarett-Tage gleichermaßen zum Erlebnis werden.“

Komisch, kurzweilig und gelungen war das Programm der „Herkuleskeule“ aus Dresden, deren Darsteller erheblich mehr als Moruroa-Gemaule zu bieten hatten. Nur warum müssen Kabarettisten beim Singen immer so drohend ins Publikum starren? Und ist es wirklich noch zeitgemäß, Ordnungsfimmel und Pünktlichkeit kabarettistisch abzustrafen? Das waren immerhin noch die Profis. Was die anderen boten, die ohne Gage auftraten, grauste die Sau.

Schon die Namen klangen ungut. Aus Rostock kam das Kabarett „ROhrSTOCK“, aus Magdeburg kamen die „Stachelgören“, aus Sonneberg die „Sonneberger (St)reiterlein“, die Gruppe „Gestörte Philippsruh“ zeigte ihr Programm „Zwischen den Stühlen“, und das der „Spätlese“ aus Schwerin hieß „Wir (f)eiern mit“. Wenn diese erbarmungslosen Zweideutigkeiten nicht bald ein Ende nehmen, werde ich mit dem Kollegen Hans Mentz vielleicht doch noch eine eigene Kabarettgruppe gründen: „Die atomaren K(n)öpfchen“. Oder „Die Ohrwü(ä)rmer“. Oder vielleicht sogar: „Die Asuhlanten“ – als Generalattacke auf die Lachmuskeln. Endlich einmal die Treuhand, Moruroa und den Bundeskanzler auf dem Umweg über das Zwerchfell auf die kritische Schippe nehmen. Bissig, aber nicht verbissen!

Corinna Wenzel-Schwarz, eine mit ihrer Drallheit aggressiv kokettierende Kabarettistin aus Baden- Württemberg, schmiß in Suhl mit Bierbüchsen um sich und parodierte eine Reihe abscheulicher Gestalten, deren Abscheulichkeit allgemein außer Zweifel stand, unter anderem ein doofes Kampfhundfrauchen und einen doofen Autofahrer. Nichts davon war „wia 's richdiche Läbe“ (Corinna Wenzel-Schwarz), sondern alles aus tausendmal breitgetretenen Klischees zusammengepappt. Das Kampfhundfrauchen nörgelte, soff und rülpste, und der Autofahrer fand das Autofahren super: „Wir sind ein Team, ich und mein Golf, scharf und gefährlich wie ein reißender Wolf ...“

Sich selbst bezeichnet Corinna Wenzel-Schwarz als „witzig, treffend, spitzfindig, bissig, frech, scharfzüngig, politisch, direkt, ehrlich, unbequem, hautnah, pfiffig und kritisch“, und in ihrem eigenen Programm steht, sie sei „kabarettistisches Urgestein, Leben prall“. Tatsächlich erfüllte sie nur liebedienerisch die Erwartungen ihres Publikums, das sich bereitwillig noch einmal vormachen ließ, wie doof doofe Leute sind.

So ging es dann auch weiter bei Uli Masuth und Helmut P. Meier („biestig, bissig und gemein“) aus Duisburg. Sie bildeten die Gruppe „Meier Plus“, hatten sich Perücken übergestülpt, nuttige Wäsche angezogen und kreischten dazu ordinär. Fremdwörter sprachen sie falsch aus („Akademierin“, „Thrapie“), was jedesmal einen Lacher wert war. Kleine Leute mit häßlichen Perücken, das sollte der Auftritt vermutlich beweisen, sind geschmacklos, gehässig, vulgär, versoffen und impotent, aber immer geil. Zwischendurch wurde das Publikum angefaßt, was ihm sichtlich behagte. Auch hier zeigte sich der intakte Familiensinn.

Dann wurden die Perücken abgesetzt, und es kamen zwei kritische Rocker zum Vorschein. Gitarrenakkorde, dick wie Nudelhölzer, sausten durch den Raum, als „Meier Plus“ gegen Kriege und Isolation und „tierisch Reibach“ machende Besitzer von Kfz- Werkstätten rockte, die „von Beulen und Blech“ leben und sich bei jedem Unfall ins Fäustchen lachen. „Stachelhaar und Rapperbart machen ohne Grips und Action keinen besseren Staat“, sangen die beiden Pappenheimer, und den größten Applaus heimsten sie ein, als sie ausriefen: „Wie lösen Sie eigentlich Ihre Probleme? Es soll ja Leute geben, die ihre Probleme legislaturperiodenweise aussitzen.“

Dramatisch weißgetünchte Gesichter zeigten die „Zeitgeister“ bei ihrem Auftritt. In der Festivalbroschüre hatten sie sich als „Kabarett der leisen Zwischentöne“ vorgestellt und ihre „Themenkreise“ angekündigt: „Wiedervereinigung, Müllberg, die Völkerverständigung, Beziehungsprobleme. Das Programm wird ständig aktualisiert.“ In Suhl fiedelten sie auf Violinen herum und sagten zeitkritische Gedichte auf: „Gedanken ständig kreisen / im Tageseinerlei! / Gedanken ständig kreisen / Im Tageseinerlei!“ Und der Müllberg legte die Ohren an. In seinem Programm „Hosen runter“ versprach der Solokabarettist Martin Sommerhoff aus Köln ein „Philosophisch-poetisches, musikalisches Kleinkunstspektakel zum Nach-, Quer- und Weiterdenken“ und hielt es auch. Er klopfte rhythmisch zwei Hölzchen gegeneinander und skandierte dazu Philosophisch-Poetisches: „Die Zeit, die Zeit, die Zeit! Läuft weg und kommt nie an ...“ Darüber hinaus beschwor er „im Spiegelbild der Phantasie das Risiko der Phantasie“ und dachte sinnlos kreuz und quer: „Wir doubeln uns selbst. Die Fälschung ist besser als das Original. Wir kriegen die Maske nicht mehr ab. Wir kriegen die Maske nicht mehr ab!“ Bei diesen Worten riß er sich am Gesicht herum.

Gern gegeißelt wurden immer wieder Mallorca-Urlauber. Die Gruppe „Gestörte Philippsruh“ geißelte besonders jene, die auf Mallorca „deutsche Zungenblutwurst“ verputzen und Fremdwörter falsch aussprechen. Außerdem wurden Umweltverschmutzer, Paragraphenreiter und der Bundeskanzler gegeißelt. Weißgeschminkt, zwecks V-Effekt, traten wiederum die Kleinkünstler der „Kaktusblüte“ auf. Sie schlugen vor, man solle statt „Wessis“ und „Ossis“ jetzt „Riesis“ und „Zwergies“ sagen. „Wir sind für die Riesis Zwergis und Riesis für die Chinesis!“ Starken Beifall gab es für das kaputteste Wortspiel („Saharajevo“) und den dünnsten Aphorismus: „Unser Biedenkopf könnte sogar König von Polen werden. Kurfürst von Sachsen ist er ja schon.“

Gewaltig mit den Augen rollten unterdessen Tilmann Keller und Nico Danowski aus Meiningen („Die Erbarmungslosen“). Sie feuerten Spritzpistolen ins Publikum ab, faßten es an und brachten es mit Wortspielen zum Brüllen: „Rentner heißen Rentner, weil sie immer so rennen müssen, bis sie mit dem Arsch an der Wand stehen!“ Auch die Gruppe „ROhrSTOCK“ befingerte das Publikum, ließ einen „Dr. Kreaflach“ augenzwinkernd Atomversuche befürworten und äffte, ohne jemals eine kennengelernt zu haben, irgendwelche Selbsthilfegruppen nach.

Wichtig war überall die Lichtregie: Gingen die Lampen aus, wurde applaudiert. Das funktionierte immer und am schönsten beim krönenden Abschluß des Festivals, als das Allroundtalent Thomas Philipzen über die Bühne kroch.

Er hatte eine Doofibrille auf, bestritt ein Programm von anderthalb Stunden Länge ohne einen einzigen komischen Einfall, fuchtelte, babbelte irgendwas, schüffelte an den Besuchern herum, pflanzte sich ihnen auf den Schoß, röchelte, spuckte, plagiierte unfaßbar schlecht Helge Schneider, wedelte mit einer Klosettbürste, stieß Quarrlaute aus, wiederholte Clownsnummern und Pantomimen aus den Zeiten des Urgroßvaters von Marcel Marceau und zog sich, als ihm sogar noch die fehlenden Einfälle ausgingen, bis auf die Unterhose aus. Das Publikum jauchzte. Anfassen ließ es sich wie gesagt gerne, und wenn es schunkeln und schnipsen durfte, war es sowieso entzückt. Dabei reagierten sich im Haus der Philharmonie Suhl, wo knallharter Wandschmuck aus der Bleigießerei und Pausenraumsessel aus Teddyfilz und Metallresten die Optik regieren, Skurrilität und Komikgeladenheit ab. Möglicherweise müssen Scharen provinzieller Dilettanten den Boden bereiten, aus dem dann in seltenen Fällen mit Glück und Verstand eine herrliche Blume sprießt und zum Himmel wächst. Aber nichts spricht dafür, daß der humoristische Humus, der sich beim Kabarettfestival in Suhl präsentierte, solche Glücksfälle begünstigt.

Was alle wußten und schon immer dachten, wurde allen, matt und mau, noch einmal langweilig unter die gerümpfte Nase gerieben. Selten haben Denkfaulheit und Spießertum in größerer Gemütlichkeit zueinandergefunden als beim Kabarettfestival vor den glänzenden Augen des „Suhler Sepp“.