Auch Christen dürfen schießen

Frieden schaffen, manchmal sogar mit Waffen: Pazifisten haben in der Evangelischen Kirche kaum noch eine Chance  ■ Aus Friedrichshafen Julia Karnick

Verhältnisse entwickeln sich weiter, und die Einsichten der Menschen auch“, faßt Jürgen Schmude, Präses der am Freitag beendeten Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die Stimmung unter den Protestanten zusammen. Die Anwendung von militärischer Gewalt zur Beendigung kriegerischer Konflikte ist auch in der Kirche längst kein Tabu mehr. Im Gegenteil: Über die Frage, ob Frieden auch mit militärischen Mitteln geschaffen werden darf, herrscht seit der Eskalation des Konfliktes im ehemaligen Jugoslawien in der EKD ein weitgehender Konsens: man darf.

Im diesjährigen Bericht des EKD-Rates bezieht Landesbischof und Ratsvorsitzender Klaus Engelhardt eine eindeutige Position: Die Entscheidung der Bundesregierung vom Juni 1995, Bundeswehr-Tornados nach Bosnien- Herzegowina zu schicken, halte er für richtig.

„Rechtfertigt die belastete Vergangenheit eine grundsätzliche Sonderrolle Deutschlands?“ fragt Engelhardt in dem Bericht. Gerade weil das NS-Deutschland militärische Gewalt mißbrauchte und durch militärische Gewalt befreit wurde, habe das demokratische Deutschland allen Grund, sich nun an militärischer Verantwortung zu beteiligen.

Doch wer ja sagt, weiß noch lange nicht, wann dieses Ja gelten soll: „Die Kirche kann faktisch nicht beurteilen, ob politische Mittel für eine friedliche Lösung ausgeschöpft sind“, räumt Präses Jürgen Schmude ein. Dies könne nur die Politik entscheiden. Aufgabe der Kirche müsse es sein, „weiterhin Orientierung in Form von ethischen Hinweisen“ zu geben. Daß beim Ringen um den Inhalt dieser Hinweise so manche Kontroverse auf die ChristInnen zukommt, vermutet Schmude wohl zu Recht.

„Der Staat lebt unter dem Imperativ, Frieden schaffen zu müssen“, erläutert der führende Tübinger Theologe Eberhard Jüngel. Ziel sei es, das Verhältnis zwischen den Völkern so zu verändern, daß eine „Weltmacht anstelle des Militärs“ tritt: Nicht Freund-Feind- Konstellationen sollen gelten, sondern ein Ordnungsprinzip, nach dem die Staatengemeinschaft ihre Mitglieder vor Aggressoren schützt, wie die Polizei die BürgerInnen vor Kriminellen.

Die Bekennende Kirche ließ in der „Barmer Theologischen Erklärung“ von 1934 verlauten, die Aufgabe des Staates sei es, „nach dem Maß menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen“.

Diese Aussagen, so heißt es in einem Vorbereitungspapier zum Schwerpunktthema der Synode – „Europa“ – , seien heute nicht mehr nur auf den Nationalstaat zu beziehen. Vielmehr sei eine Einschränkung staatlicher Souveränität und die Übertragung staatlicher Kompetenzen auf die europäische Staatengemeinschaft zu bejahen.

Militärische Interventionen, so der Wille des Europa-Ausschusses und der gesamten EKD, sind nach wie vor nur als „äußerstes Mittel“ zulässig. Für die Ausnahme von der Regel der Gewaltfreiheit sollen strenge Kriterien gelten: So müßten alle friedlichen Mittel ausgeschöpft sein, der Krieg dürfte nicht im politisch-wirtschaftlichen Interesse der reichen und mächtigen Staaten geführt werden.

Ein Ja der Kirche zu militärischen Einsätzen hört die Bundesregierung gerne – allen voran Bundesverteidigungsminister Volker Rühe, der bereits die Solidarität der ChristInnen mit der Bundeswehr anmahnte. Wird sie der Kirche auch Beachtung schenken, wenn die im Ernstfall die genannten Kriterien mißachtet sieht?

Die Frage, wie sich der Auftrag des Militärs mit dem christlichen Grundsatz der Feindesliebe vertrage, beantwortet Herwig Pickert, Oberst, Dozent für Militärstrategie und Mitglied des Europa-Ausschusses, so: „Ich könnte nicht Soldat sein, wenn ich nicht Christ wäre.“ Denn als Christ, das weiß er, erwartet ihn die Sündenvergebung.

Für Pickert, und diese Ansicht teilt er mit vielen GlaubensgenossInnen, ist es eine größere Schuld, Konflikten wie dem in Ex-Jugoslawien tatenlos zuzusehen, als im staatlichen Auftrag seinerseits Menschen zu töten.

Daß der Pazifismus überflüssig geworden ist, glaubt er nicht: „Wir brauchen die Pazifisten, um uns selber immer wieder in Frage zu stellen.“ Aber: „Die müssen sich die Frage gefallen lassen: Reicht es, immer nur zu beten?.“ Dabei wollen die standhaften AnhängerInnen der Friedensbewegung mehr als Beten: Sie setzen auch weiterhin auf Prävention und Mediation.

Margot Käßmann, Mitglied des Exekutivkomitees des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK): „Der Mensch wünscht sich ein paar Bomben und dann eine saubere Situation. Ich halte es aber für gewagt, zu militärischen Einsätzen ja zu sagen, denn die Konsequenzen kann keiner absehen.“ Bei 43 Kriegen weltweit sei der Balkan-Konflikt nur ein Beispiel, das dafür herhalten muß, die pazifistische Friedensethik zu untergraben.

„Es ist zur Zeit unwahrscheinlich schwierig, an pazifistischen Standpunkten festzuhalten“, so Käßmann. „Doch die Friedensbewegung hat schon öfter unterschiedliche Phasen durchgemacht: Am Ende ist sie nicht.“