■ Keiner ist mehr sicher vor der Europolizei. Wenn der Entwurf, der festlegt, welche "besonderen personenbezogenen Daten" erhoben, ausgewertet und gespeichert werden dürfen, durchkommt, rückt jede und jeder ins Visier der EU-Polizei.
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Keiner ist mehr sicher vor der Europolizei. Wenn der Entwurf, der festlegt, welche „besonderen personenbezogenen Daten“ erhoben, ausgewertet und gespeichert werden dürfen, durchkommt, rückt jede und jeder ins Visier der EU-Polizei.

Gefangen im Datennetz der Eurocops

Das Übel trägt einen Namen, im trockenen Amtsdeutsch heißt es „Entwurf von Durchführungsbestimmungen für die Arbeitsdateien zu Analysezwecken für Europol“. Regeln soll der Entwurf, der unter der spanischen Präsidentschaft von der Kommission der Europäischen Union in diesem Sommer erarbeitet wurde, wie in der europäischen Polizeizentrale „Europol“ künftig mit Daten, Dateien und Datenverarbeitung verfahren wird. Festgeschrieben werden soll, welche Angaben zu Personen die von der EU Union in Den Haag eingerichtete Behörde erheben, welche sie auswerten und welche sie speichern darf. Der angestrebte Katalog, über den in Kürze auf EU-Ebene die Justiz- und Innenminister zu entscheiden haben, ist die reinste Horrorliste.

Jede und jeder rückt ins Visier der Europolizei. So sollen in den Rechner der Polizeizentrale nicht nur Namen, Geschlecht oder Staatsangehörigkeit potentieller Krimineller gespeichert und analysiert werden. Als „besondere personenbezogene Daten“ (Artikel 4 des Entwurfes) sollen auch die Merkmale „rassische Herkunft, politischen Anschauungen, religiöse und andere Überzeugungen, Angaben zur Gesundheit, Angaben zum Sexualleben“ erfaßt, gespeichert und ausgewertet werden können. Angesichts des geplanten Einblicks der Eurobehörde in die Intimsphäre der EU-BürgerInnen mutet vergleichsweise harmlos an, daß unter dem Stichwort „andere personenbezogenen Daten allgemeiner Art“, auch Wohnsitz, Telefon, Fahrzeuge, unveränderliche körperliche Merkmale und „Angaben zur Bankverbindung oder Geschäftstüchtigkeit“ erhoben werden sollen.

Grenzenlos wie der Katalog der zu erfassenden Merkmale ist auch der Kreis der Betroffenen, deren Daten in die Speicher wandern werden, wenn der Entwurf nicht noch gekippt werden sollte. Im Blickfeld des Europäischen Polizeiamtes sind nicht nur Tatverdächtige aus den Bereichen des internationalen Terrorismus, des Drogenhandels oder sonstiger schwerwiegender Kriminalität. Erfaßt und analysiert werden sollen auch die Angaben über Kriminalitätsopfer, über Zeugen und „Begleitpersonen“, selbst die Daten „potentieller Zeugen“ sollen auf die Festplatten wandern dürfen.

Wie schrankenlos der Zugriff auf die Daten der BürgerInnen ausfallen soll, zeigt beispielsweise Artikel 3 des vorgelegten Entwurfes („Erfaßte Personengruppen“). Über den in der Europol-Konvention festgelegten Personenkreis hinaus, soll die Erhebung und Verarbeitung der Daten auch über solche Personen zulässig sein, „die dort (in der Europol-Konvention; d. Red.) nicht aufgeführt sind, deren Erfassung jedoch für eine konkrete Analyse von Interesse sein könnte“. Mit anderen Worten: ein Freibrief für jede Art der Erfassung, auch wenn in der Bestimmung die Aufbewahrung der Personaldaten im Anschluß an die „konkrete Analyse“ untersagt ist. Unter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes dürfte der Entwurf kaum mit dem bundesdeutschen „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ zu vereinbaren sein. Die Sammelwut der Eurokraten könnte durchaus vom Bundesverfassungsgericht als grundgesetzwidrig zurückgewiesen werden. Die Durchführungsbestimmungen widersprechen in ihrem Geist aber auch einer „Empfehlung des Ministerkomitees an die Mitgliedsstaaten über die Nutzung personenbezogener Daten im Polizeibereich“ des Europarates von 1987.

Gestützt auf das „Übereinkommen zum Schutz des Menschen bei der automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten“ vom Januar 1981 hatte der Europarat bei den Regierungen der EU-Mitgliedstaaten angemahnt: „Die Sammlung personenbezogener Daten für polizeiliche Zwecke sollte auf solche Daten beschränkt werden, die für die Abwehr einer konkreten Gefahr oder die Verfolgung einer speziellen Straftat erforderlich sind.“ Und: „Die Sammlung von Daten über Personen allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Rasse, einer bestimmten religiösen Anschauung, ihres Sexualverhaltens oder ihrer Zugehörigkeit zu einer Bewegung und Organisation, die nicht gesetzlich verboten ist, sollte verboten werden.“ Der Inhalt der Ratsempfehlung muß den Autoren des Entwurfes entgangen sein, der Entwurf der Durchführungsbestimmungen stützt sich in seiner Präambel ausdrücklich auf eben diese Empfehlung. „Wenn der Entwurf in der jetzt vorgelegten Form umgesetzt wird“, urteilt der Vorsitzende der Deutschen Vereinigung für Datenschutz, Thilo Weichert, „dann kann man den Datenschutz bei Europol ganz vergessen.“

Offen bleibt auch, wie sich die Kommission die Umsetzung ihrer Pläne vorstellt. Europol erhebt keine eigene Daten, das Amt ist somit von der „Zulieferung“ aus den EU-Mitgliedstaaten abhängig. Hauptaufgabe des europäischen Polizeiamtes ist auch nicht die klassische Fahndung, es soll vielmehr die Kriminalitätsdaten aus den verschiedenen Ländern zusammenführen, diese auswerten und strategische wie taktische Bekämpfungstrategien entwickeln.

Kriterien wie „Sexualverhalten“ oder „rassische Herkunft“ werden etwa in Deutschland bei der Datenerhebung durch die Polizeien nicht berücksichtigt. Nach bundesdeutschen Datenschutzgesetzen dürften die Polizeibehörden solche Angaben auch gar nicht nach Den Haag übermitteln. „Nicht praktikabel“, heißt es denn auch unter Polizeiexperten.

So bleibt abzuwarten, ob und in welcher Modifikation die Regelungen für den Umgang mit personenbezogenen Daten verabschiedet werden. Auch wenn der Entwurf scheitern sollte – er wirft ein Schlaglicht auf das Verständnis von Bürgerrechten auf europäischer Ebene. Wolfgang Gast