Shakespeare aus weiter Ferne

■ Schauspielhaus: Johann Kresniks und Ismael Ivos „Othello“ als Gastspiel

Hier ist nichts so, wie es geschrieben stand: Schwule Wollust (es spielen nur Männer) verdrängt erotisches Schwanken zwischen Gier und Schüchternheit in der frischen Ehe, körperliche Aggression nimmt den Platz der kühlen Ränke ein, rassistisch besetzte Karikaturen ersetzen die Darstellung der systematischen Vernichtung des Anderen – mit stark emotionalen bis plakativen Bildern verwischen Johann Kresnik und Ismael Ivo in ihrem Tanztheater Othello, das am Wochenende als Gastspiel im Schauspielhaus zu sehen war, ihre Spuren vom gemeinsamen Ausgangspunkt, Shakespeares Drama, um Nebenlinien desselben zu fetten. Scheinbar in der Absicht befangen, die Schwierigkeiten des Tanztheaters mit komplexen inhaltlichen Stoffen durch drastische Bilder zu überwinden, artikulieren sie sich in Offensichtlichem, wo Latentes gemeint war.

So verwandeln sie etwa den subtilen Rassismus der venezianischen Gesellschaft, den Shakespeare ja keineswegs zum pogromistischen Ausbruch steigert, in kapriziöse Schablonen eines „Neger“-Bildes kolonialen Zuschnittes. Sei es als Ikone der Fremdartigkeit, wenn Ivo zu Beginn des Abends als klingelndes Flügelwesen mit Reifrock auftaucht, oder als Klischee vom riesenschwänzigen Immergeilen, der mit monströsem Genital sein Mannweib von hinten bespringt, oder schließlich als dressierter Affe, der durch Jagos Feuerreifen hüpft – dieser Othello ist stets aufdringlich bemüht, uns die Bildergeschichte des „Negerhasses“ erneut zu erzählen.

Gleichzeitig schaffen Kresnik und Ivo eine Verkettung von Homophobie und Rassismus, indem sie das ihnen gemeinsam innewohnende Vorurteil der zügellosen Geilheit exzessiv zelebrieren. Das ist zwar ein interessanter Einfall, der aber auch nur marginal etwas mit der Erzählung des Othello zu tun hat und zudem Gefahr läuft, die Dreiecksgeschichte Othello-Jago-Desdemona als reine Eifersuchtstragödie zu interpretieren. Denn Rache braucht Motive und dieses Stück, das krankhaften Ehrgeiz nicht vorkommen läßt, bietet Jago nur zwei: Rassismus oder Eifersucht.

Daß Jago sich im letzten Bild das Gesicht schwärzt, um Othello anstelle Othellos zu sein, schließt ausschließlich rassistische Tötungsabsichten aus und legt nahe, auch hier mehr Verkürzung als Differenzierung zu sehen. Dazu paßt, daß Jago hier als Psychopath gezeichnet ist, der zwischen Hysterie und teuflischer Gehässigkeit operiert. Jago, die eigentliche Hauptfigur in Shakespeares Drama, wird ihrer Ambivalenz beraubt und als Dämon zu einer Randfigur, verantwortlich für Grimassen und Wahnwitz. Shakespeare könnte kaum weiter weg sein.

Bei aller thematischen Fragwürdigkeit ist dieser Othello – wenn man die Sehnsucht nach Deutungen ablegt – als Choreografie durchaus schön in seiner gewalttätigen Poesie. So schafft dann gerade der Serientäter-Charme Jagos, enthusiastisch getanzt von José Luis Sultán, die eindrücklichsten Sequenzen körperlicher Raserei, und Ivos Soli leiden höchstens darunter, daß man sein Repertoire langsam kennt. Wirklich überragend an dieser Produktion ist die Musik des brasilianischen Komponisten Livio Tragtenberg, dem eine dramatische Verbindung von Jazz, Industrial und Klangfreiheit gelungen ist. Till Briegleb