Bremen unfähig zu Europa

■ Kommunalwahlrecht für EU-AusländerInnen – aber wie?

Ab dem 1.1.1996 wird Bremen in eklatanter Weise gegen Europarecht verstoßen. Ab diesem Zeitpunkt nämlich muß in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union das Kommunalwahlrecht für EU-AusländerInnen eingeführt sein. Doch während in den meisten Ländern und Bundesländern das Wahlrecht inzwischen angepaßt worden ist, gibt es in Bremen keine Möglichkeit, die europäische Vorschrift mit der Bremer Landesverfassung und dem Grundgesetz in Übereinstimmung zu bringen. Egal, welche der inzwischen ins Spiel gebrachten Modelle eingeführt wird, droht in jedem Fall eine juristische Auseinandersetzung.

Einigkeit besteht bisher lediglich darüber, daß EU-AusländerInnen in Bremerhaven künftig an der Kommunalwahl zur Stadtverordnetenversammlung in vollem Umfang beteiligt werden. Damit ist die EU-Richtlinie zumindest in der Seestadt erfüllt. Und in Bremen werden EU-AusländerInnen künftig gleichberechtigt an den Wahlen zu den 22 Ortsamtsbeiräten beteiligt. Doch dies reicht in der Stadt Bremen zur Erfüllung der EU-Richtlinie nicht aus. Verlangt wird darin nämlich in einem Anhang ausdrücklich das Wahlrecht „zur Stadtgemeinde Bremen in der Freien Hansestadt Bremen“.

Die Stadtgemeinde wird in Bremen parlamentarisch von der Stadtbürgerschaft vertreten. Doch dieses Gremium wird gar nicht gewählt. Es besteht einfach aus den 80 in Bremen gewählten Mitgliedern der Bürgerschaft, also des Landtags. Deshalb fordern denn auch Grüne und SPD, EU-BürgerInnen mit festem Wohnsitz in Bremen einfach gleichberechtigt an den Landtagswahlen teilnehmen zu lassen. Das würde zwar der EU-Richtlinie gerecht werden, wäre aber nach gängiger Interpretation ein klarer Verstoß gegen das Grundgesetz, das ein Wahlrecht nur für Deutsche vorsieht. Lediglich für Kommunalwahlen wurde zur Erfüllung der EU-Richtlinie inzwischen eine Ausnahmeregelung ins Grundgesetz aufgenommen.

Die CDU hat sich aus diesem Grund eindeutig gegen ein Landtagswahlrecht für EU-BürgerInnen in Bremen ausgesprochen. Doch selbst, wenn sie sich von SPD und Grünen noch überzeugen ließe, würde ein solcher Vorstoß wohl spätestens vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wieder scheitern. Denn das Bundesinnenministerium hat bereits Organklage für den Fall angekündigt, daß in Bremen ein Landtagswahlrecht für AusländerInnen – und seien es auch nur die gut 5.000 in Bremen lebenden BürgerInnen anderer Mitgliedsländer der Europäischen Gemeinschaft – eingeführt wird.

Bliebe es jedoch bei der von der CDU favorisierten Beschränkung des Wahlrechts für EU-BürgerInnen auf die Wahl der Ortsamtsbeiräte, dann könnte jeder in Bremen lebende EU-Bürger auf Eintragung in die Wahllisten zur Landtagswahl vor dem Verwaltungsgericht klagen. Und das müßte ihm mit Hinweis auf die übergeordnete EU-Richtlinie recht geben. Im Zweifel würde der Europäische Gerichtshof in Luxemburg entscheiden – und das sicherlich für die dann von einem echten Kommunalwahlrecht ausgeschlossenen Bremer EU-BürgerInnen. Im schlimmsten Fall würde das Land Bremen sogar Gefahr laufen, daß die nächste Bürgerschaftswahl von einem ausgeschlossenen EU-Bürger erfolgreich angefochten und für ungültig erklärt wird. Das kleinste Bundesland hätte sich dann selber in die Sackgasse manövriert.

Seit zwei Jahren ist dieses Problem grundsätzlich klar, und seit einem Jahr liegt der genaue Text der EU-Richtlinie vor. Doch bis vor einigen Wochen hat die Bremer Politik das Problem vollständig verdrängt. Jetzt liegt zumindest aus der Verwaltung das Fragment eines möglichen Kompromißvorschlags auf dem Tisch. Der ist allerdings so kompliziert, daß ihn selbst die mit dem Thema befaßten Bürgerschaftsabgeordneten noch nicht recht verstanden haben.

Die Bremer EU-AusländerInnen würden danach zwar an der Landtagswahl teilnehmen, ihre Stimme jedoch auf einem Stimmzettel mit anderer Farbe abgeben. Diese Stimmen von EU-BürgerInnen würden dann getrennt ausgezählt. Bei der Zusammensetzung der Bürgerschaft (Landtag) würden sie nicht berücksichtigt, bei der Zusammensetzung der Stadtbürgerschaft aber schon. Da sich nach ersten Untersuchungen das Wahlverhalten von EU-AusländerInnen kaum von dem der deutschen Wahlberechtigten unterscheidet, würde am Ende wahrscheinlich trotz der getrennten Bewertung der Stimmen alles beim Alten bleiben: die 80 Bremer Landtagsabgeordneten wären identisch mit der Stadtbürgerschaft.

Käme es doch durch die EU-Stimmen zu einer Verschiebung zwischen den Fraktionen, dann gäbe es eben ein bis zwei Abgeordnete, die nur für die Stadtbürgerschaft, bzw. nur für den Landtag ein Mandat hätten. Außer den dafür entstehenden Zusatzkosten für Diäten gäbe es kein Problem. In der Bremer Nachkriegsgeschichte hat es diesen Fall sogar schon einmal gegeben, als 1956 die KPD verboten wurde, und die vier KPD-Abgeordneten zwar aus der Bürgerschaft (Landtag) verwiesen wurden, an der Stadtbürgerschaft aber weiterhin stimmberechtigt teilnehmen konnten.

Zu großen Verwicklungen würde der Behördenvorschlag jedoch führen, wenn EU-AusländerInnen in Bremen nicht nur von ihrem aktiven Kommunalwahlrecht Gebrauch machen würden, sondern auch vom passiven. Dann müßte ein EU-Ausländer, der auf der Liste seiner Partei in die Bürgerschaft gewählt worden ist, im Landtag durch einen deutschen Nachrücker ersetzt werden. Auch das wäre – wenn auch ein ziemliches Kuriosum – noch denkbar. Keine Lösung hat der Behörden-Vorschlag jedoch für die Frage, was passiert, wenn sich EU-AusländerInnen in den Senat wählen lassen wollen, der ja sowohl Bremer Stadt- als auch Landesregierung ist. Und was das Verfassungsgericht in Karlsruhe dazu sagen würde, wenn EU-AusländerInnen sich in den Parteien an der Aufstellung der Listen zur Bürgerschaftswahl, die ja Landeslisten sind, beteiligen. Es könnte der absurde Zustand eintreten, daß EU-AusländerInnen zwar für deutsche Parteien auf der Landesliste kandidieren, die Zusammenstellung dieser Liste jedoch nicht mitbestimmen dürften.

„Mir wäre es auch lieber, das Problem wäre schon gelöst“, meint denn auch Landeswahlleiter Dieter Matthey, der selber in der Behördenarbeitsgruppe den Kompromißvorschlag gemacht hatte. Und der Vorsitzende einer CDU-Arbeitsgruppe zum Thema EU-Wahlrecht, Wedige von der Schulenburg, erklärt das Problem gar zur „Quadratur des Kreises“. Er setzt deshalb darauf, daß die EU bis zur übernächsten Bremer Wahl im Jahr 2003 das volle Landtagswahlrecht für seine BürgerInnen in jedem Mitgliedsland einführt und sich damit das Bremer Dilemma von selber löst. Ase