Es ist ein Alptraum

■ betr.: „Von der Haremsdame zur grauen Maus“ (Rezension zu Irm gard Pinn/Marlies Wehner: „EuroPhantasien – die islamische Frau aus westlicher Sicht“), taz vom 7. 11. 95

Ein Lob der voraussetzungslosen Wissenschaft, die sich um meine Vorstellungen bemüht. Ich gehöre schon irgendwie zu den „Linken, InternationalistInnen, FeministInnen“, die sich die Motivationssachverständigen Pinn und Wehner zur Brust genommen haben. Vergleiche ich ihre Aussagen mit meinen versteckten Vorurteilen, muß ich sehen: Wo sie Recht haben, haben sie Recht.

Warum kann ich der Kopftuch tragenden Iranerin nicht glauben, daß sie es ebenso gern tut wie ihre Mutter und Tanten – die es ein Leben lang nicht trugen? Warum träume ich von 1.001 Nacht, wenn ich von Szenen rund ums Frauenhaus und Journalistenjagd in Algerin höre – es ist ein Alptraum.

Sie haben meine Europhantasien entlarvt. Aber meine Phantasien gehen sie einen Dreck an, wenn sie das friedliche Innenleben einer Teppichfabrik oder sonst gleichgültiges Alltagselend als die Wahrheit mystifizieren, an der meine Vorurteile zu prüfen sind. Das nehme ich ebensowenig als Entschuldigung für einen abwertenden Angriff wie den lyrischen Schmalz einer Friedenspreisträgerin von 95. Meine Phantasien und die der meisten mir bekannten „Linken, Internationalistinnen, Feministinnen“ kommen aus Erlebnissen von Arbeit und Begegnung mit Opfern der Eifersucht, des Familienterrors, der politischen Ausmerzung und der Verhetzung. Auch das ist Realität. Es gibt den Wunsch, autonome Persönlichkeit zu sein auch und gerade im traditionalistischen Überdruck wie in der fundamentalistischen Totalität, die außer dem Firmenschild sich in nichts von Nazismus unterscheidet. Es ist die Realität betroffener Minderheiten. Daß es auch die Realität der angeblich nichts merkenden Mehrheiten gibt, die Schleier tragen, als hätten es ihre „Mütter und Tanten“ getragen, bestreite ich nicht. Aber „daß die Frechheit von Vertreterinnen dieser Wahrheit, mal ein bißchen in meinem Kopf herumzuforschen, als tolle Erkenntnis objektiver Wissenschaft ausgebreitet wird, ist happig.

Aber nun meinerseits ihre Motive und ihre Finanziers untersuchen? Dazu habe ich auch keine Lust. Es gibt eine Menge an mir auszusetzen. Aber nicht von Leuten, die den Fundamentalismus als eine Art Dekoration des Idylls betrachten. Das haben wir mit dem Stalinismus so gemacht. Und die angeblich zufriedenen Volksgenossen haben – Mensch sei Dank – ebenso wenig auf uns gehört und den Wahn ausgekehrt. Klaus Wachowski, Alzey