■ Nebensachen aus Johannesburg
: Lindenstraße, südafrikanisch

Wer glaubt, daß alle weißen Südafrikaner in riesigen Villen mit Swimming-pool und mehreren schwarzen Bediensteten residieren, der irrt. Umgekehrt irrt auch, wer glaubt, daß alle Schwarzen in Streichholzschachtel-Häusern in Townships leben. Zugegeben, landesweit ist das sozusagen der repräsentative Querschnitt. Doch vor allem in den Bezirken, die am Rand der Innenstadt von Johannesburg liegen, entstehen seit dem Fall der Apartheid-Gesetze Formen großstädtischen Lebens, so laut, so schmutzig und so gefährlich wie andere Großstädte der Welt – nicht gerade zum Entzücken der weißen Bevölkerung.

Wer es sich leisten kann, zieht weg, in die endlosen Suburbs. Übrig bleiben die, die es nicht können oder es für besonders „pc“ halten, so zu wohnen – oder unverbesserliche Europäer wie ich. Bei vielen weißen Südafrikanern stößt das immer noch auf ungläubiges Kopfschütteln wie: „Dann mußt du ja aus dem Haus gehen, wenn du schwimmen willst.“ Noch unfaßbarer ist, daß man am Wochenende nicht im eigenen Garten der nationalen Lieblingsbeschäftigung, dem Grillen, nachgehen kann.

Das Leben in einem vierstöckigen Wohnhaus bietet reichlich Entschädigung für die schmerzlich vermißte Lindenstraße. Niemand in Südafrika würde auf die eigenartige Idee kommen, Namensschilder an die Tür zu machen. Die Wohnungen haben Nummern, und das genügt. Das geht so weit, daß auch die Hausbewohner sich nur mit Nummern ansprechen. Wie die dazugehörigen Menschen heißen, erfährt man erst in längeren Flurfunkgesprächen.

Nummer 14 zum Beispiel. Ständig werden dort am Wochenende laute Parties gefeiert, ständig gehen dort wildfremde Menschen ein und aus. Doch damit nicht genug. Vorzugsweise am Samstagabend halten Männer in aufgemotzten BMWs unten auf der Straße und hupen, um ihren Freundinnen zu signalisieren, daß jetzt das Wochenende beginnen kann. Überflüssig zu erwähnen, daß es sich bei Nummer 14 um Schwarze handelt.

Eigenartigerweise erregt sich niemand über Nummer 31. Die Dame fährt mit schöner Regelmäßigkeit ihren schäbigen Golf in den Innenhof des Hauses, wo die Autos geparkt werden. Dann legt sie sich auf die Hupe, damit die schwarze Maid herunterkommt, um die Einkäufe nach oben zu bringen. Selbstredend gibt es einen Aufzug. Die Maid wohnt übrigens, wie das in solchen Häusern üblich ist, oben auf dem Dach in einer kleinen Kammer. Auf diesem Haus gibt es nur fünf Kammern, um die ein steter erbitterter Verteilungskampf tobt, denn nur wer eine solche Kammer hat, kann sich auch eine Maid halten.

Was wiederum Nummer 22 dazu bringt, mit allen Registern zu versuchen, in den Genuß dieses Privilegs zu kommen. Wozu gibt es denn ein Hauskomitee, das regelmäßig tagt und sich mit solchen Dingen zu beschäftigen hat. Leider spuren die auch nicht so richtig, weswegen Nummer 22 vor keiner Intrige zurückschreckt – behaupten die anderen Nummern. Das konnte man gerade neulich erst wieder einmal sehen. Da war das Abflußrohr aus der Wohnung verstopft, und die halbe Nacht klopfte ein Klempner mit riesigem Getöse im Hof herum, um es zu reparieren. Könnte man auch am Tage machen, oder?

War nicht am vergangenen Wochenende wieder mal eine Wohnung zum Verkauf angeboten worden? Könnte es nicht doch sein, daß Nummer 22 endlich... Doch das ist das Problem in südafrikanischen Wohnhäusern. Da die Preise für Wohnungen spottbillig sind und es zumindest in etwas besseren Vierteln absolut unüblich ist zu mieten, gehören die Wohnungen meist denen, die darin wohnen. Loswerden kann man die dann nicht so leicht. Kordula Doerfler