„Lotta continua“-Chefs verurteilt

Im fünften Verfahren gegen Adriano Sofri und Genossen erneut Strafen von 22 Jahren wegen Ermordung eines Polizeikommissars / Oberstes Gericht hatte Verurteilung aufgehoben  ■ Aus Mailand Werner Raith

Böse Überraschung im fünften Verfahren gegen Adriano Sofri und zwei weitere ehemalige „Lotta continua“-Führer wegen der Ermordung des Mailänder Polizeikommissars Luigi Calabresi vor 23 Jahren: Wie schon in der ersten Instanz 1990 wurden die drei jetzt auch vom Mailänder Appellationsgericht zu jeweils 22 Jahren Gefängnis verurteilt.

Der ermordete Kommissar Calabresi war Anfang der 70er Jahre ein rotes Tuch für die gesamte außerparlamentarische Linke — viele hielten Calabresi für schuldig am angeblichen Selbstmord eines Anarchisten im Polizeipräsidium Mailand: Calabresi hatte ihn, fälschlich, wie mittlerweile feststeht, für den Attentäter gehalten, der 1969 mit einem Sprengstoffanschlag auf die Landwirtschaftsbank Mailand 16 Menschen tötete. Vergangenes Wochenende erklärte der in dieser Sache erneut recherchierende Untersuchungsrichter, er habe nun endgültig einen mittlerweile in Tokio lebenden Rechtsterroristen als den Dynamittäter ausgemacht.

Als Calabresi 1972 auf offener Straße beim Einsteigen in sein Auto erschossen wurde, herrschte allgemein freudige Zustimmung. „Doch nie hätten wir dazu einen Auftrag erteilt“, hatte sich Adriano Sofri, inzwischen allseits geschätzter Journalist und Publizist, vor Gericht verteidigt.

Kronzeuge Leonardo Marino, der sich selbst als Fahrer des Fluchtfahrzeugs und den ebenfalls verurteilten Ovidio Bompressi als den Todeschützen bezeichnet hat, behauptet jedoch, Sofri und Pietrostefani hätten ausdrücklich zum Mord aufgefordert. Marino selbst wird nicht ins Gefängnis müssen, obwohl die elf Jahre gegen ihn bestätigt wurden: Die Strafe ist nach italienischem Recht inzwischen verfallen, da mehr als das Doppelte ihrer Dauer vergangen ist.

Den Aussagen Marinos, dessen Selbstanzeige das Strafverfahren überhaupt erst ausgelöst hatte, hatten im ersten Prozeßzug sowohl das Landgericht wie das Oberlandesgericht Glauben geschenkt. Das Oberste Strafgericht Italiens, der Kassationshof, hatte dagegen wegen der ausschließlich auf den Aussagen des „Kronzeugen“ beruhenden Verurteilung die Strafen aufgehoben und ans Oberlandesgericht zurückverwiesen, das die Lotta-continua-Führer denn auch freisprach. Dagegen erhob die Staatsanwaltschaft Einspruch, und so mußte erneut die Kassation ran — und die hob diesmal die Freisprüche auf, weil nun offenbar auch Indizien herangezogen worden waren, denen aber das Gericht nicht gefolgt war. Der neuerliche Spruch des Oberlandesgerichtes trägt dem nun Rechnung. Dennoch hatten die Anklagen nur wenig überzeugt, weil sich sowohl der Kronzeuge in Widersprüche verwickelte wie auch die Indizien nicht zweifelsfrei belegt werden konnten.

Nach der erneuten Verurteilung empört sich nahezu gesamte intellektuelle Italien: „Unmöglich“ kommentiert la Repubblica, und die ehemaligen LC-Kombattanten überlegen, ob sie nicht, wie schon 1988, noch einmal eine großangelegte Kollektivaktion starten sollen: Damals hatten sich mehr als 50 Linksmilitante selbst als „Auftraggeber“ angezeigt.