Turbulente Tage in einem bayerischen Finanzamt

■ Der geplagten Münchner CSU fällt das Skandalmanagement immer schwerer

München (taz) – Am 11. Dezember 1990 bekam die Finanzbeamtin Helga Dettmer eine interessante Akte auf ihren Schreibtisch. Darin listete ein Kollege auf, was ihm ein paar Tage zuvor bei der Betriebsprüfung des Vereins „Stille Hilfe Südtirol“ aufgefallen war. Demnach wurden vom Vereinskonto zwischen 1986 und 1988 etwa 1,6 Millionen Mark abgebucht. Unterzeichnet hatte die Überweisungen ein gewisser Gerhard Bletschacher, erster Vorsitzender der „Stillen Hilfe Südtirol“.

Empfänger der 1,6 Millionen war die „Kartonagenfabrik Eduard Müller“, eine völlig veraltete Käseschachtelbude. Ihr Besitzer: Gerhard Bletschacher. Die promovierte Juristin Helga Dettmer erkannte die „Brisanz des Falles“ sofort, wie sie heute sagt. Der Verdacht lag nahe, daß jener Herr die Kasse des gemeinnützigen Vereins geplündert hatte.

Ob die Finanzbeamtin Dettmer daraufhin in der „Betriebsprüfungsordnung“ ihrer Behörde geblättert hat, läßt sich heute leider nicht mehr feststellen. Vermutlich war ihr der entsprechende Paragraph 9 jedoch geläufig: „Ergibt sich bei einer Betriebsprüfung der Verdacht auf eine Straftat ..., so ist die für die Bearbeitung dieser Straftat zuständige Stelle unverzüglich zu unterrichten.“

„Unverzüglich“ hieß im Fall Bletschacher, daß die zuständige Staatsanwaltschaft schon nach 1.504 Tagen informiert wurde. Sucht man nach Gründen für diese kleine Schusseligkeit, muß man sich mit einem weiteren Ehrenamt des Gerhard B. befassen. Er war Stadtrat der Münchner CSU und kurz zuvor zu ihrem Fraktionsvorsitzenden gewählt worden.

Daß man dessen Akte im Finanzministerium nur widerwillig anfaßte, ist verständlich. Gegen den zweiten Mann der Münchner CSU vorzugehen war vielleicht eine Sache für Gerechtigkeitsfanatiker, nicht aber für bayerische Finanzbeamte. Helga Dettmer, politisch engagiert in der CSU, fürchtete jedenfalls, „daß die mir das Parteibuch um die Ohren hauen, wenn da was hochkommt“. Zwei Jahre lang ließ sie die Akte bei ihrem Vertreter ruhen; ab 1993 verhandelte die milde Helga dann persönlich mit Gerhard Bletschacher. Erst im Dezember 1994, kurz bevor der Stille-Hilfe-Vorsitzende gestand, daß er mittlerweile 4,8 Millionen unterschlagen hatte, erklärte sie sich für befangen und gab den Fall ab. Wenige Tage später wurde der Staatsanwalt informiert.

Was den Fall Bletschacher/ Dettmer für die CSU besonders unangenehm macht, ist die Unmöglichkeit eines ordentlichen Skandalmanagements. Bei jedem anderen Fall wäre der Name der zuständigen Finanzbeamtin unbekannt geblieben. Und die vornehme Zurückhaltung des Finanzamts im Fall Gerhard B. wäre dann ebenfalls nicht so deutlich geworden.

Doch Helga Dettmer ist seit einigen Tagen auch Stadträtin in spe, Nachrückerin eines CSU-Mannes, der wegen Skandalgeschichtchen ins Gerede kam. Und so ließ sich auch ihre Arbeit im Finanzministerium nicht mehr verheimlichen. Wenn sie ihr Amt in wenigen Tagen antritt, wird sie sich in eine ehrenwerte Gesellschaft begeben: Dreißig Mandate stehen der CSU seit der letzten Wahl zu, drei davon wurden nach Skandalen bereits weitergereicht – ein Wert, der sonst wohl nur in italienischen Stadtparlamenten erreicht wird.

Gegen einen vierten CSU- Stadtrat läuft jetzt, wie die Abendzeitung berichtete, ebenfalls ein Ermittlungsverfahren. Albert Schottenheim soll in die Kasse der „Katholischen Arbeitnehmerbewegung Mariahilf“ gegriffen haben. Zwar haben zwei Männer aus dem Vorstand seinen Kredit genehmigt und dieser den Betrag bereits zurückgezahlt.

Doch die beiden Vorstandsmitglieder, die in Wohnungen der „Katholischen Arbeiterbewegung“ leben, haben danach eigenmächtig und jahrelang ihre Mietzahlungen gekürzt. Der Revisor, der davon nichts bemerkt haben will, hieß Albert Schottenheim. Felix Berth