■ Die weltweite Kritik an der Hinrichtung von neun Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten läßt Nigeria kalt. Auch Shell läßt seine Kreise nicht stören: Die Ölmultis fördern und verkaufen - und Nigerias Herrscherelite profitiert kräftig mit.
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Die weltweite Kritik an der Hinrichtung von neun Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten läßt Nigeria kalt. Auch Shell

läßt seine Kreise nicht stören: Die Ölmultis fördern und verkaufen – und Nigerias Herrscherelite profitiert kräftig mit.

Für ihr Lebenselixier geht die Diktatur über Leichen

Die Nachricht von der Hinrichtung Ken Saro-Wiwas platzte mitten in eine Routinesitzung des UN- Sicherheitsrates am Freitag abend hinein, an der Nigeria als eines der derzeitigen nichtständigen Ratsmitglieder teilnahm. Der britische UN-Botschafter John Weston unterbrach die Sitzung, las dem Rat die entsprechende Meldung vor und fügte hinzu, seine Regierung sei „entsetzt“. Die US- amerikanische UNO-Botschafterin Madeleine Albright wandte sich an ihren nigerianischen Kollegen Isaac Ayewah und sagte: „Diese unmenschliche Tat verstößt gegen unsere Werte.“ Ayewah antwortete mit einer Beschwerde: „Gewisse Ratsmitglieder, angeführt von der britischen Delegation“, mischten sich in die inneren Angelegenheiten seines Landes ein.

Die Konfrontation im Weltsicherheitsrat bietet einen Vorgeschmack auf die Auseinandersetzung, die bei einer Verhängung von Sanktionen gegen Nigeria bevorstünde, denn diese wären von einem UN-Votum abhängig. Ein umfassendes Embargo gegen Nigeria müßte den Ölexport treffen, aus dem das nigerianische Militärregime 90 Prozent seiner Devisen und 80 Prozent seiner Gesamteinnahmen gewinnt. Sollte die UNO Nigeria den Ölverkauf verbieten, stünde das Land in einer Reihe mit Paria-Staaten wie Irak und Iran.

Aber für ein Ölembargo haben sich bisher weder die Ölgesellschaften noch die importierenden Staaten ausgesprochen. Die Opec stand gestern allein auf weiter Flur, als sie sich in Kairo auf Nigerias Seite stellte und die Hinrichtungen als „innere Angelegenheit“ bezeichnete. Für ein Fallenlassen des fünftgrößten Ölproduzenten der Welt stehen in Nigeria einfach zu viele Interessen auf dem Spiel. Das Land zählt ein Viertel der Bevölkerung Schwarzafrikas und ist der größte Empfänger ausländischer Investitionen auf dem Kontinent – fast ausschließlich im Öl- und Gassektor. Von den etwa zwei Millionen Barrel Erdöl, die täglich in Nigeria gefördert werden, gehen über drei Viertel in den Export. Die USA kaufen die Hälfte der nigerianischen Ölproduktion, der Rest geht hauptsächlich an Deutschland, Frankreich und Spanien. Größter Ölproduzent im Lande, mit 910.000 Barrel täglich, ist Shell, das auch über die weitaus umfangreichsten Konzessionen verfügt.

Noch im Jahre 1994 sah es so aus, als würde Nigeria seiner Ölindustrie ganz ohne Hilfe durch ausländische Sanktionen den Garaus machen. Die Ölförderung sank zeitweise um mehr als ein Viertel – Ergebnis von Mißmanagement und Unmut unter der Arbeiterschaft. Die staatliche Ölgesellschaft NNPC, der per Gesetz 58 Prozent aller Ölförder-Unternehmen gehören und die damit für den gleichen Prozentsatz der laufenden Förderkosten aufkommen muß, zahlte nämlich in diesem Jahr ihren Anteil nicht, und so blieben notwendige Instandhaltungen aus.

Schon im Juli 1994 mußte Shell sich gegenüber seinen Abnehmern auf „höhere Gewalt“ berufen, um sinkende Fördermengen zu rechtfertigen. Dazu kam ein sechswöchiger Streik der Ölarbeiter aus Protest gegen die Militärdiktatur. Die Ölförderung von Shell sank schließlich um die Hälfte, die zwei letzten Raffinerien des Landes mußten schließen. Die Regierung brach dem Streik durch Massenverhaftungen das Genick und versprach Anfang 1995 den Ölfirmen Nachzahlungen. Aber die Folgen der Krise wirken nach: Die Zahl der Bohrplattformen vor der nigerianischen Küste ist von 45 auf acht gesunken; die größte Ölraffinerie in Port Harcourt ist zur Zeit wieder mal wegen „Sabotage“ geschlossen, und die anderen funktionieren sowieso nicht mehr.

Die Forderung der Ölmultis, den obligatorischen Mehrheitsanteil des nigerianischen Staates an der Ölförderung abzuschaffen, stößt bisher auf taube Ohren. Denn dieser Mehrheitsanteil ist das Lebenselixier von Nigerias Herrscherelite. Die zuständige Staatsfirma NNPC verkauft ihre 58 Prozent des nigerianischen Öls nämlich unter dem Weltmarktpreis an zumeist obskure Firmen wie die „Glencore“ des angeblich in den USA wegen Steuerhinterziehung gesuchten Marc Riche; diese Firmen, die durch den Weiterverkauf fette Profite erzielen, stehen Nigerias Herrschern privat sehr nahe. Die Konstruktion, die von nigerianischen Oppositionellen als System des systematischen Diebstahls kritisiert wird, gewährleistet das Anhäufen phantastischer Reichtümer durch Nigerias Militär- und Geschäftselite – und die wird darauf nicht verzichten wollen.

Die verschlungenen Wege des Ölverkaufs machen es auch schwer, ein Ölembargo durchzusetzen. Denn das System funktioniert auch dann, wenn die Ölmultis die ihnen direkt zustehenden 42 Prozent des nigerianischen Öls nicht mehr absetzen dürfen. Selbst ein Einfrieren der Auslandskonten, auf denen die Öleinnahmen landen, dürfte da kaum greifen.

Mehr Handlungsmöglichkeiten bieten sich, wenn es um ausländische Neuinvestitionen in Nigeria geht. Seit der Krise von 1994 sind die Ölmultis bestrebt, ihre Aktivitäten auf dem nigerianischen Festland so weit wie möglich zurückzuschrauben. Sie konzentrieren sich auf Tiefseebohrungen und die Ausbeutung des bei der Ölförderung anfallenden Erdgases, das bisher immer nutzlos abgefackelt wurde und die Umwelt verpestet. Die US-Ölfirmen Mobil und Chevron haben die Arbeit an zwei Gasförderprojekten im Gesamtwert von 1,5 Milliarden Dollar begonnen, aus denen die Förderung 1998 anlaufen soll. Und wie die Londoner Zeitung Observer gestern berichtete, soll am kommenden Mittwoch in London der Vertrag zu einem seit Jahren diskutierten Projekt zum Bau einer Gasverflüssigungsanlage im südostnigerianischen Bonny unterzeichnet werden. Kostenpunkt: 3,6 Milliarden Dollar. Laut Vertrag wird aus dieser Anlage ab 1999 Gas nach Frankreich, Italien, Spanien und in die USA geliefert. Beteiligt an der eigens gegründeten Betreiberfirma „Nigerian Liquified Natural Gas Company“ sind die Staatsfirma NNPC mit 49 Prozent, Shell mit 24 Prozent und ansonsten die Ölfirmen Elf (Frankreich) und Agip (Italien).

Die Weltbank, die um einen 100-Millionen-Dollar-Kredit für das Projekt gebeten wurde, hat sich am Tag von Saro-Wiwas Hinrichtung zurückgezogen. Es läge jetzt in der Macht von Shell und den anderen Teilnehmern, sich diesem Schritt anzuschließen. Dominic Johnson