Der Soldat, das geschichtslose Wesen

■ Zivildienst verweigert: Wer mit dem Holocaust argumentiert, hat kein Gewissen

Wer zu spät kommt, den bestraft der Ausschuß für Kriegsdienstverweigerung (KDV). Hätte der junge Hamburger Tim Teichert sofort nach seiner Einberufung den Dienst mit der Waffe abgelehnt, wäre eine Postkarte ausreichend gewesen. Tim tat es nicht, weil er irrtümlicherweise glaubte, den Zivildienst dann sofort antreten und somit seine Ausbildung abbrechen zu müssen. Das dicke Ende kam im August mit der Post: Er wurde einberufen und mußte seinen Wehrdienst unmittelbar antreten. Seinen Antrag mußte der 25jährige Grafikdesigner persönlich vor dem KDV-Ausschuß begründen.

Weil er sich mit „Dritten Reich“ sehr intensiv auseinandergesetzt und durch jahrelange Auslandsaufenthalte die verheerenden Folgen gewalttätiger Auseinandersetzungen erlebt habe, argumentierte der in Ghana geborene Tim, lehne er Gewalt aus Gewissensgründen ab.

Doch Auslandserfahrung gilt nicht, befand der KDV-Ausschuß. Und „auch Ereignisse aus dem II. Weltkrieg, Holocaust und andere schlimme Taten des Dritten Reiches, können nicht in einen kausalen Zusammenhang zum Wehrdienst in der Bundeswehr gesetzt werden“, heißt es im Ablehnungsbescheid. Zur Begründung wird ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts herangezogen, das Situationen in anderen Ländern und historischen Kriegen im Zusammenhang mit Kriegsdienstverweigerung nicht zuläßt.

Leider ist den Gewissensprüfern dabei aber ein grundsätzlicher Fehler unterlaufen, so der KDV-Beauftragte des Kirchenkreises Stormarn, Horst Görner. „Der Ausschuß darf nicht nach historischen Kriegen oder anderen Ländern fragen.“ Mit dem Urteil habe man Kriegsdienstverweigerer schützen wollen.

Außerdem aber seien, so der KDV-Ausschuß weiter, „die Zweifel dadurch bestärkt“, daß Tim Teichert erst jetzt einen KDV-Antrag gestellt hätte. „Das ist doch lebensfremd“, schimpft Görner. „Wenn man sich mal irrt, kann man dann keine Gewissensentscheidung mehr treffen?“ Tim hatte schon 1989 auf dem Fragebogen für Schüler angegeben, den Wehrdienst verweigern zu wollen.

Derweil sitzt der junge Hamburger bereits in einer Kaserne in Hildesheim. „Für mich bedeutet die Ablehnung, daß ich demnächst, wenn die Grundausbildung an der Waffe beginnt, für 21 Tage in den Bau gehen muß.“

Silke Mertins