Der 64jährige tibetische Mönch Palden Gyatso berichtet über die 33 Jahre seines Lebens, die er in chinesischen Gefängnissen und Arbeitslagern verbracht hat. Er wurde aufgrund seiner Aktivitäten für die Unabhängigkeit Tibets verhaftet und ge

Mein Name ist Palden Gyatso. Im Alter von zehn Jahren wurde ich Mönch. Als die chinesische Militärinvasion in Tibet 1959 ihren Höhepunkt erreichte, wurde ich verhaftet und beschuldigt, ein „reaktionäres Element“ zu sein. Zu dem Zeitpunkt war ich 28 Jahre alt. Ich wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt und in das Gefängnis des Distrikts Panam im Süden Tibets gebracht. Dieses Gefängnis war ein früheres Kloster und hieß Norbu Khyungtse.

Im Gefängnis mußte ich Zwangsarbeit verrichten, in der Regel neun Stunden täglich und manchmal auch länger. Wir Häftlinge wurden wie Tiere vor Pflüge gespannt und mußten das zum Gefängnis gehörende Land bestellen. Wenn wir zu erschöpft oder zu geschwächt waren, den Pflug zu ziehen, wurden wir von hinten mit Füßen getreten und mit Peitschen geschlagen. Da wir nie genügend Essen erhielten, mußten wir für Schweine vorgesehenes Futter aus chinesischen Schweineställen stehlen. Außerdem wurden wir gezwungen, alle möglichen Dinge, wie Leder, Knochen verschiedener toter Tiere sowie Mäuse, Würmer und verschiedene grüne Gräser und so weiter zu kauen und herunterzuschlucken.

Unter den Häftlingen wurde Feuer angezündet

Im Gefängnis waren wir grausamen Behandlungen verschiedenster Art ausgesetzt. Im Winter wurden wir draußen aufgehängt und mit kaltem Wasser überschüttet. An heißen Sommertagen trat an die Stelle von kaltem Wasser ein Feuer, das unter dem hängenden Gefangenen angezündet wurde. Zu anderen in dieser Position vorgenommenen Formen der Mißhandlung gehörten Schläge mit Ledergürteln sowie mit elektrischen Viehtreibstöcken oder mit Eisenstangen.

Außerdem wurden wir an den Füßen mit Eisenschellen gefesselt, und Hände und Daumen wurden mit sich automatisch zusammenziehenden Handschellen und Daumenspangen gefesselt. Die scharfen Ränder der Handschellen führten dazu, daß mehrere Häftlinge ihre Hände durch den scharfen Einschnitt verloren. Ich habe an meinen Handgelenken immer noch viele von diesen scharfen Instrumenten verursachte Narben.

1962 gelang mir zusammen mit sechs anderen politischen Häftlingen die Flucht aus dem Gefängnis Panam. Nahe der indisch-tibetischen Grenze wurden wir gefaßt. Meine Haftstrafe wurde um weitere acht auf 15 Jahre erhöht.

Vor Antritt dieser zusätzlichen Haftstrafe wurden wir blindwütig geschlagen und sechs Monate lang Tag und Nacht mit Hand- und Fußschellen gefesselt. Die Fußfesseln wurden über zwei Jahre, in denen ich das Weben von Teppichen lernte und ausüben mußte, nicht entfernt.

1975 war meine Haftzeit beendet, aber ich durfte nicht nach Hause zurückkehren. Statt dessen wurde ich in das Arbeitslager Nyethang geschickt, das etwa 15 Meilen [rund 24 km] westlich von Lhasa, der Hauptstadt Tibets, liegt. Das Gefangenenleben ging dort weiter, wenn auch in etwas entspannterer Atmosphäre. 1979 konnte ich mich mitten in der Nacht aus dem Arbeitslager schleichen und nach Lhasa gehen, wo ich einige Plakate mit dem Aufruf zur Unabhängigkeit Tibets klebte. Am 26. August 1983 wurde ich schließlich erneut festgenommen und in das im Nordosten von Lhasa gelegene Gefängnis Old Sangyip gebracht.

Während der gesamten Zeit meiner Inhaftierung seit 1959 und der neun Jahre danach, während denen ich in Arbeitslagern als Gefangener festgehaltenen wurde, war es mir nie gestattet, Besuche von Verwandten oder Familienangehörigen zu empfangen oder diese zu treffen.

Im April 1984 wurde ich ein einem einstündigen Gerichtsverfahren ohne irgendeinen Rechtsbeistand oder die Möglichkeit einer Verteidigung zu einer Gefängnisstrafe von neun Jahren verurteilt. Im April 1985 wurde ich in das Outidu-Gefängnis [Vierte Einheit, die heute Teil der im abgelegenen nordöstlichen Tal von Lhasa gelegenen Gefängnisverwaltung Sangyip ist] gebracht. Im Gefängnis mußten wir alle Arten schmutzigster Arbeiten verrichten, wozu die Handhabung menschlicher Exkremente für den Anbau von Gemüse gehörte. Außerdem wurden wir gezwungen, persönliche Arbeiten für die Gefängniswärter auszuführen. Darüber hinaus waren wir weiteren Mißhandlungen durch betrunkene Gefängniswärter ausgesetzt.

Auch andere Formen der Mißhandlung waren im Gefängnis an der Tagesordnung. Ich wurde zum Beispiel von einem Gefängnisbeamten mit einem elektrischen Viehtreibstock traktiert und mit kochendem Wasser überschüttet, da ihm – wie er sagte – meine Einstellung nicht passe. Ich erhielt danach keine ärztliche Hilfe.

Im November 1987 wurden fünf Gefangene aus dem Distrikt Gonjo in Osttibet, die im Gefängnis Gutsa in Lhasa gefangengehalten worden waren, verurteilt, davon zwei zum Tode. Alle Insassen des in der Nähe von Sangyip gelegenen Gefängnisses Gutsa mußten der Urteilsverkündung beiwohnen.

Die zwei zum Tode verurteilten Gefangenen wurden von den chinesischen Führern aufgefordert, da sie in zwei Tagen exekutiert werden würden, laut vor den versammelten anderen Gefangenen zu singen und dazu zu tanzen. Sie wurden gezwungen, diesen Befehl trotz der ihnen angelegten Hand- und Fußschellen auszuführen. Viele Gefangene weinten. Die tibetischen Beamten des Gefängnisses mußten dieses Spektakel voller Trauer mit ansehen.

Nonnen vergewaltigt und mit Elektrostöcken gequält

Über diese Geschehnisse wurde mir von einigen Nonnen und anderen berichtet, die zu der Zeit in dem Gefängnis gefangengehalten worden waren. Diese erbärmlichen Zustände zeigen deutlich, daß Häftlinge in Tibet keine Rechte haben.

Bei einem anderen Vorfall zu etwa der gleichen Zeit haben Gefängniswärter wiederholt als politische Gefangene festgehaltene Nonnen vergewaltigt und sie dann mit einem elektrischen Viehtreibstock sexuell mißbraucht. Bevor der Folterer den elektrischen Viehtreibstock in das Sexualorgan stieß, sagte er: „Das hast du noch nicht erlebt.“ Der Name des Gefängniswärters, der dies gesagt hat, ist Sonam Tsering; zum Zeitpunkt meiner Flucht aus Tibet war er noch immer im Dienst. Das ist das Verhalten von Mitgliedern eines Kaders, denen immer gesagt worden ist, daß sie Menschenfreunde sind.

Am 13. Oktober 1990 wurde ich vom Gefängnis Outidu in das nahe gelegene Gefängnis Drapchi verlegt, das als Gefängnis Nr. 1 der „Autonomen Region Tibet“ bezeichnet wird. Unmittelbar nach meiner Einlieferung sagte der Verwaltungschef der Fünften Einheit des Gefängnisses, Paljor, zu mir: „Ich sehe, daß du dreimal im Gefängnis warst. Was hat dich dieses Mal hierhergebracht?“ Ich antwortete, daß ich festgenommen worden sei, da ich Plakate mit dem Spruch „Tibet ist ein unabhängiges, von China getrenntes Land“ geklebt hätte. Daraufhin antwortete er: „Ich werde dir zeigen, was tibetische Unabhängigkeit bedeutet.“ Nach dieser Antwort wurde ich von ihm mehrere Male brutal getreten, und zwischendurch stieß er einen elektrischen Viehtreibstock in verschiedene Teile meines Körpers. Nach etwa einer halben Stunde stieß er den elektrischen Viehtreibstock mit voller Wucht in meinen Mund. Ich verlor das Bewußtsein. Als ich wieder zu mir kam, lag ich in einer Lache aus Blut und Exkrementen und litt unter unerträglichen Schmerzen. Ich konnte jedoch nichts tun. Ärztliche Hilfe erhielt ich nicht. Außerdem hatte ich meine Zähne zum größten Teil verloren. Im April 1991 stattete mir der damalige Botschafter der Vereinigten Staaten in Peking, James Lilley, im Gefängnis Drapchi einen Besuch ab. Wir überreichten ihm eine Petition, in der die Folterungen im Gefängnis und die von uns erlittenen Qualen genau aufgeführt waren. Diese Petition wurde ihm jedoch aus der Hand genommen und dem Leiter der Gefängnisverwaltung übergeben.

Nachdem der Botschafter wieder gegangen war, wurden zwei politische Gefangene, Lobsang Tenzin und Tenpa Wangdak, in Einzelhaft gebracht und dort einem Verhör unterzogen. Später wurden sie zusammen mit drei anderen politischen Gefangenen in das im Südosten Tibets gelegene Arbeitslager Powo Tramo verlegt.

An diesem Tag wurden Soldaten der Armee ins Gefängnis gerufen und alle politischen Gefangenen wurden mit Gewehrkolben geschlagen und mit Bajonetten verletzt. Die benutzten Schlagstöcke und elektrischen Viehtreibstöcke zerbrachen fast alle. Daraufhin wurde Ngawang Kunga, ein politischer Gefangener, mit einer Eisenkette, die als Fußfessel für die Gefangenen diente, bis zur Bewußtlosigkeit geschlagen. Ngawang Phuljung erhielt einen Schlag mit dem Gewehrkolben an die Schläfe und wurde bewußtlos. Phurbu Tsering erhielt durch einen Bajonettstich am Hinterkopf einen tiefen vertikalen Schnitt, aus dem das Blut herausschoß. Die Aufzählung dieser Geschehnisse ließe sich immer weiter fortführen. Die beiden letztgenannten Personen befinden sich immer noch in demselben Gefängnis. Ich habe nur einige Beispiele der Greueltaten genannt, die an Gefangenen in Tibet begangen werden. Es gibt aber noch eine Gruppe von Tibetern, die weiterhin Tag und Nacht unsäglichen Qualen ausgesetzt sind. Ich appelliere daher an Ihr Gewissen, die Befreiung dieser Menschen zu bewirken.

Viele Fälle brutaler Gefangenenmißhandlungen im Gefängnis von Drapchi und Lhasa sind kürzlich bekanntgeworden. Im Juni 1993 zum Beispiel wurde festgestellt, daß 14 als politische Gefangene inhaftierte Nonnen, die heimlich ein Freiheitslied komponiert und aufgezeichnet hatten, ohne Einhalt geschlagen wurden. Phuntsok Yangkyi, eine 20 Jahre alte Nonne, fand dabei den Tod. Den anderen 13 wurden Körperverletzungen zugefügt, die zu unterschiedlichen gesundheitlichen Schäden führten; es wird befürchtet, daß die 18jährige Nonne Ngawang Sangdol für immer verkrüppelte Hände behalten wird.

Gefangene müsse sich trotz der dort herrschenden drückenden Hitze und schwülen Atmosphäre den ganzen Tag und das gesamte Jahr über in Gewächshäusern aufhalten, wo sie Gemüse züchten, das auf dem Markt in Lhasa verkauft wird. Die Gefangenen erhalten für ihre Arbeit zwar keine Bezahlung, aber wenn sie ihr vorgeschriebenes Soll nicht erfüllen, werden sie bestraft und müssen damit rechnen, daß ihre Haftstrafe erhöht wird. Die Gesundheit vieler Gefangener ist durch den ständigen Aufenthalt in der Gewächshausatmosphäre in einem Maß beeinträchtigt, daß sie ihre Umgebung kaum noch wahrnehmen.

Folterinstrumente ins Ausland geschmuggelt

Am 25. August 1992 war meine Gefängnisstrafe beendet, und ich wurde aus dem Gefängnis Drapchi entlassen. Dreizehn Tage später bin ich aus Tibet geflohen.

Vor meiner Flucht habe ich heimlich Vorkehrungen getroffen, einige Folterinstrumente an mich zu bringen, so daß ich diese der Außenwelt zeigen könnte. Einige dieser Geräte habe ich mitgebracht: Dies ist ein elektrischer Viehtreibstock der Art, wie er mir in den Mund und inhaftierten Nonnen in die Geschlechtsorgane gestoßen wurde. Dies ist eine Daumenspange, die dazu benutzt wird, die Gefangenen auf dem Rücken diagonal aneinanderzuketten. Dies ist ein Spezialmesser, das von der chinesischen Polizei dazu benutzt wird, Tibeter durch Stiche zu verletzen. Bei diesen Instrumenten handelt es sich nur um einige der in Gefängnissen in Tibet verwendeten Folterinstrumente.

Herr Vorsitzender!

Ich bin Ihnen, den Mitgliedern der Kommission und den anderen Zuhörern äußerst dankbar, daß sie sich diese kurze Schilderung meines Lebens in Gefängnissen in Tibet angehört haben. Ich bin allerdings nur einer der wenigen Glücklichen, die überlebt haben und denen die Flucht gelungen ist. Viele meiner Freunde sowie andere politische Gefangene sind in Gefängnissen und Arbeitslagern in Tibet gestorben. Die Geschichte ihrer unsäglichen Leiden haben sie mit sich genommen.

Leicht gekürzter Bericht Palden Gyatsos vom Februar dieses Jahres vor der UNO-Menschenrechtskommission in Genf.