"Noble" Schwulenfeinde

■ In Hamburg wehren sich die Anwohner eines Gute-Leute-Viertels gegen ein geplantes Altersheim für Schwule und Lesben. Doch regt sich zaghafter Protest

Hamburg (AP/taz) – Im Nobelviertel Hummelsbüttel gibt es Ärger wegen neuer Anwohner: In eine schneeweiße Wohnanlage sollen schwule und lesbische Rentner einziehen. „Meines Wissens ist das die erste Altenwohnanlage, die vor allem für Homosexuelle konzipiert ist“, sagt Projektleiter Sven Karl Mai. Doch der Plan ist gefährdet: „Wenn die Widerstände aus der Nachbarschaft nicht aufhören, müssen wir uns wohl von dem Projekt verabschieden.“ Die bisherigen Interessenten seien nicht bereit, ihren Lebensabend in einer feindlich gesinnten Nachbarschaft zu verbringen.

Einer der Anwohner, dem die Homos nicht ins Weltbild passen, ist Wolfgang Arnold, von Beruf Staatsanwalt. „Wir befürchten, daß die Schwulen eine Stricher- und Drogenszene nach sich ziehen.“ Er zeichnet ein Horrorbild von weggeworfenen Spritzen in den ruhigen Wohnstraßen. „Wissen Sie, das ist hier eine echte Spießergegend, und die Leute wollen ihre Ruhe.“ Gegen ein Altersheim „für normale Leute“ habe er ja gar nichts.

Die Sprüche des Staatsanwaltes nehmen sich mild aus gegen die Erlebnisse einer Lokalreporterin, die das Altenheim für Homosexuelle in ihren Artikeln lobte: „Ich bekam schmutzige Anrufe, ein Anrufer beschimpfte mich als ,Schwulen-Hure‘“, sagt Sonja Berding mit Grausen. Neuerdings drohen Anzeigenkunden ihrem Blatt, dem Alstertal-Magazin, mit der Rücknahme von Inseraten. „Außerdem wurde mein Auto zerkratzt und die Antenne abgebrochen“, erklärt die 28jährige Journalistin.

Eine Anwohnerin rief beim Hamburger Abendblatt an, um sich gegen das Homosexuellen-Projekt zu wehren: „Schwule sind krank“, sagte Sylke M. und ergänzte: „Wer garantiert uns, daß die schwulen Socken nicht unsere Kinder anmachen?“

Makler Mai schüttelt bei solchen Sprüchen nur noch den Kopf. Ein „faschistoides Menschenbild von Schwulen“ hätten die Leute im feinen Viertel. Auch bei ihm klingeln Terroranrufer ohne Pause, beschimpfen ihn und drohen dem 31jährigen. Jetzt macht er sich Sorgen um sein 3,5-Millionen-Mark- Projekt. „Ich überlege, das Projekt eines Alterssitzes für Schwule und Lesben in einen anderen Stadtteil zu verlagern.“ Er denkt an St. Georg, ein liberales Stadtviertel hinter dem Hauptbahnhof.

Dabei wäre die Anlage im Villenviertel ideal: Im Haus gibt es Solarium, Fitneßraum, Schwimmbad. Wer will, bekommt Unterstützung beim Einkaufen, ein Fahrdienst ist geplant. Die extrabreiten Türen lassen sich versetzen, so daß auch Wohngemeinschaften einziehen könnten, etwa drei Leute mit zwei Bädern und einer Küche. Fünf Minuten zu Fuß entfernt liegt das Alstertal, eine Oase der Naherholung mitten in Hamburg. Doch das Glück in der „liebevollen Gemeinschaft“ ist nicht billig. Gut 20 Mark Kaltmiete soll der Quadratmeter im Monat kosten. Serviceleistungen hat Mai extra kalkuliert. Trotzdem gab es Nachfrage: „Vor allem Schwule aus dem Umland waren interessiert, für die hätte die Wohnanlage ein spätes offen schwules Leben ermöglicht.“ Für weniger Betuchte gründete Mai den „Gay&Grey-Förderverein“, der mögliche Mietlücken ausgleichen soll. Homos aus allen gesellschaftlichen Schichten sollen hier ihren Lebensabend verbringen.

In den nächsten Tagen will Mai entscheiden, ob er weiterhin zu dem Projekt steht. Vielleicht hilft ihm eine Unterschriftenaktion, die liberalere Anwohner jetzt gestartet haben. „Wir finden es beschämend und wenden uns hiermit öffentlich gegen die Diskriminierung einer Minderheit“, sagt Nachbarin Christine Schulenburg. Kirche, Parteien und Prominente wie Heidi Kabel und Wilhelm Wieben riefen zu Toleranz und Solidarität auf: „Was hier aufgebrochen ist an dumpfer Angst, gefährlichen Vorurteilen und moralischer Scheinheiligkeit, betrifft nicht nur Hummelsbüttel. Es muß uns alle beschämen“, konstatiert Hinrich Westphal, Pressesprecher der Nordelbischen Kirchenleitung. Sven Mai denkt auch darüber nach, dieses Haus nicht als Altersheim zu vermieten. Seine Gegner tun ihm leid: „Die machen sich selbst ihren Stadtteil kaputt. Wer will schon hierher ziehen?“ C.-P. Tiemann/M.-P. Schaar