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Die Superheldinnen im Offenen Kanal

TV kills the Videokunst-Star: Während Väterchen Fernsehen macht, machen Künstler Werbung für Rémy Martin – in Wien dokumentieren Retrospektiven zu Dara Birnbaum und Dan Graham die Medienkunst der 80er Jahre  ■ Von Jochen Becker

„Video ist tot; zumindest in der vorgegebenen Rolle der Videokunst und im Rahmen des vorgegebenen Kunstgalerien-Systems.“

Dara Birnbaum

Als der KünstlerInnen-Traum vom selbstgemachten Fernsehen an der Konzentration der Medienkonzerne scheiterte, zogen sich viele Akteure zurück in die Videokunst. Inzwischen ist der Markt zwar noch weiter bis auf wenige Großunternehmen zusammengeschrumpft. Andererseits stehen eine Kanalexplosion durch digitale Kompression und eine Kostenimplosion durch Einführung digitaler Camcorder vor der Tür, und so erlangt Fernsehmachen auch im Kunstkontext eine neue Attraktivität. Billiganbieter wie die Ballungszentrensender (IA, HH1, tv weißblau), Alexander Kluges Talk-Clips, die mancherorts agilen Offenen Kanäle, der von 3sat mehrstündig ausgestrahlte „Pudel Overnight“ als Reality-Kneipenbummel semiprominenter Unterhaltungskünstler oder der sprichwörtlich vom Hotelzimmer aus gestartete Musiksender Viva demonstrieren Bezahlbarkeit: TV kills Videokunst-Star.

Das Low-cost-TV der Zukunft wird sich als Special-interest-Kanal organisieren müssen, der nicht Breite, sondern Besonderheit sucht. Ein künftiges „Fanzine- Fernsehen“ könnte in Anlehnung an schon bestehende Zeitschriften seine redaktionelle und soziale Kompetenz in den Ring werfen (Spex-TV?), während andere ihr „Desktop-TV“ wie Technotracks am Computer entwickeln. Zur Mitte November in Köln stattfindenden „Messe 2 Ok“ präsentiert sich „Unser Fernsehsender“ als Projekt der Künstler Stefan Dillmuth und Hans-Christian Dany, um für anstehende Kanalvergaben gerüstet zu sein. Nicht zuletzt aus taktischen Gründen wird dies kein neuer Kunstkanal für die Kulturnische: Das Projekt hofft auf Interaktion mit den Nutzern und Finanzierung mittels Schaltung von Kleinanzeigen im Videoformat. Low-Tech-TV wäre, vergleichbar der Videokunst, ein Spartenprogramm, nur sucht es sich seine Zuschauerschaft nur zum Teil im Kunstumfeld. Zwar wird die eingespielte Infrastruktur ebenso wie die Methodik künstlerischer Produktion genutzt, zugleich aber an benachbarte Bereiche (Club, Infoladen, Flohmarkt, Universität, Straße, Netze) gebunden.

Die zeitgleich, aber an getrennten Orten in Wien inszenierten Retrospektiven der MedienkünstlerInnen Dan Graham und Dara Birnbaum bieten Material zur Diskussion über das Genre Kultur- Fernsehen. Zudem dokumentieren sie das Umkippen von Öffentlichkeitsarbeit in selbstreferentielle Videokunst, deren vorrangige Aufgabenstellung im Bildarrangement zu liegen scheint. 1978 entwarfen beide gemeinsam ein Projekt mit dem trockenen Titel „Analyse der Nachrichtensendungen des Regionalfernsehens für das Public-Access-Kabelfernsehen“. Wie das Medium funktioniert und welche Rolle es spielt im „kulturellen Leben eines Gemeinwesens“, sollte anhand der regionalen „happy news“ des kanadischen Städtchens Halifax publik gemacht werden. Im Umfeld der normalen nationalen Nachrichten konstituiert sich die heitere Lokalberichterstattung als Spiegelbild familiärer Strukturen, wo der Vater als Sprecher und Oberhaupt mit Frau und Kindern (BerichterstatterInnen für Sport, Wetter, Nachrichtenüberblick) am runden Tisch Platz nimmt und noch die offensichtlichsten Konflikte zwanghaft harmonisiert. Nach getaner Arbeit kommt die Kleinfamilie zusammen und erzählt sich, was derweil draußen so passiert ist. Diese gelöste Runde – die fernsehschauenden und fernsehproduzierenden Familien sitzen sich im Halbkreis gegenüber – bietet den Werbekunden ein vertrauliches Ambiente.

Das vierteilige Kabelpilotprojekt sah vor, jeweils zehn Minuten der Montagssendung an den folgenden Tagen zu untersuchen. Bild und Ton wurden getrennt, die ProduzentInnen sollten über ihre Sendung mit Anrufern diskutieren. Auf diesem Wege wollten Birnbaum und Graham über das Repertoire emotionaler Bilder („zerlumpte Kinder symbolisieren Armut, uniformierte Polizei symbolisiert Autorität, und Feuer symbolisiert Zerstörung“), narrativer Muster und struktureller Schnittregeln aufklären. Im Unterschied zu aktuellen Überlegungen verstanden sich jene Fernsehprojekte als Fortführung von Konzeptkunst und institutioneller Kritik im Rahmen „Neuer Medien“.

Für Dara Birnbaum markierten nach Architekturstudium und stadtteilorientierter Arbeit als „Umweltdesignerin“ (dabei wurde Video zu Dokumentationszwecken eingesetzt) zwei Aktionen gegen den Vietnamkrieg Anfang der 70er Jahre ihren Einstieg ins neue Medium: Während die interventionistischen Yippies um Abbie Hoffman via TV in die US-Wohnstuben einzudringen suchten, zerstörten andere symbolisch ein Fernsehgerät. „Mir wurde bewußt, daß sie diesen einen Fernseher zwar zerschmettert hatten, aber eine Million weiterer Zuschauer dies als Nachricht zu sehen bekamen ... Mir wurde plötzlich klar, daß für mich die Zeit gekommen war, wieder einmal fernzusehen.“

Dara Birnbaum entschied sich gegen Videokunst und für TV- Analyse, wobei ihr Augenmerk der Prime Time galt. So zerlegte sie das Vorabendprogramm von „Kojak“ bis „General Hospital“ in neue Schnittfolgen oder speiste 1987 parallel zur Unterhaltungsserie „Wonder Woman“ ihr „Technology/Transformation: Wonder Woman“ ins Kabelnetz. Wiederholt taucht dabei eine Computerwerbung von Wang auf, in der eine Frau am Rechner von einem regenbogenartigen Glitzerschweif umzaubert wird. Für das Sponsorprogramm von Rémy Martin entwickelte sie 1982 einen seltsam godardhaften Werbestreifen, wobei eine asiatische Frau an der Flasche hängt und neben Gleisen liegt, bis ein Zug den Weinbrand überfährt. Im zeitgleich entwickelten Band „PM Magazine/Acid Rock“ singt eine Frau den Doors- Hit „LA Woman“, ein Mädchen wird mit Fernsehtricks bearbeitet, während Untertitel märchenhaft „Ich sehe / Ich sehe / Dein Haar brennen“ verkünden.

Sendezeit stand Dara Birnbaum jedoch nur beschränkt zur Verfügung, weshalb sie das Bildmaterial häufig bei Videoinstallationen weiterverwendet hat. Im leergeräumten Ausstellungscontainer der Kunsthalle Wien tönen die sechs ausgreifenden Objekte zwar gegeneinander, doch aus dem vermeintlichen Klangbrei schälen sich differenzierte, fast schon refrainartige Klangelemente heraus. Neben der documenta-Arbeit „Transmission Tower“ und „Tiananmen Square: Break-in Transmission“ (1990), wo auf Citizen(!)-Monitoren der Medienkampf im Zentrum Pekings verarbeitet wird, widmet sich die neueste Arbeit „Hostage“ der Schleyer-Entführung.

Doch auf den in Reihe hängenden und mit transparenten Zielscheiben versehenen Monitoren läuft das sattsam bekannte Bildmaterial ab, ergänzt mit Ausschnitten aus US-amerikanischen Zeitungsarchiven.

Dara Birnbaums Schlingerkurs zwischen Großaufträgen und aktivistischen Positionen umfaßt Shopping-Center-Design im Stile Nam June Paiks ebenso wie ein zum Kolumbus-Jahr produzierter MTV-Clip, der in irrem Tempo einen ökonomischen und ökologischen Vergleich zwischen Frankreich und den USA vollzieht. Daß sie einmal „die Sprache der Videokunst in bezug auf die Institution Fernsehen definieren (wollte), so wie Buren und Asher die Sprache der Malerei und Skulptur in bezug auf die Institution Museum definiert hatten“, läßt sich weniger anhand der Installation als in schlichten Videoarbeiten wie „Canon: Take back the night“ erkennen. Dort sind anonym produzierte Poster von den Pariser Mai-Unruhen 1968 mit amateurhaften Camcorder-Aufnahmen einer nächtlichen StudentInnendemo knapp 20 Jahre später montiert.

„Dan Graham: Video/Architecture/Performance“. Bis 17.12. in der EA-Generali Foundation

„Dara Birnbaum“. Bis 19.11. in der Kunsthalle Wien

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