Der Test der Brauchbarkeit

■ Rudolf Scharpings Rede vor dem Parteitag der SPD

In seiner Eröffnungsansprache hat der Vorsitzende der SPD eine sehr konkrete durch eine ziemlich abstrakte Frage ersetzt. Statt „Braucht die SPD Rudolf Scharping?“ hieß es bei ihm: „Braucht Deutschland die SPD?“ Die Antwort war absehbar.

„Brauchbarkeit“ – das war Scharpings zentrale Kategorie. Die SPD wird gebraucht, aber sie war in letzter Zeit „nicht immer brauchbar“. Warum? Weil die Männer der Führung statt auf den Gegner auf sich selbst einschlugen. Daher der neue sozialdemokratische moralische Imperativ. Hauptsatz 1: „Was du einem Genossen nicht ins Gesicht zu sagen wagst, sollst du auch keinem Journalisten im Hintergrundgespräch erzählen.“ Gefolgt von Hauptsatz 2: „Den Vorsitzenden zu kritisieren, heißt die Partei schwächen.“

Freilich, auch der Vorsitzende war und ist nicht ohne Fehl. Aber was Scharping als eigene Schwäche benannte – „zuviel angefaßt, zuwenig bewirkt, den Willen zur vertrauensvollen Zusammenarbeit unterschätzt, nicht immer voll hinter dem gestanden, was gegenüber der Öffentlichkeit zu vertreten war“ –, es waren allgemeine, dazu noch in der dritten Person vorgetragene, vorbeihuschende psychologische Selbstbetrachtungen. Von konkreter Fehleranalyse keine Spur. Auch ohne die wahrhaft kunstvollen Beispiele aus der Vergangenheit als Modell zu nehmen: Das war eine wahrhaft miserable KSK (Kritik und Selbstkritik).

Natürlich ist es sinnvoll, über die Brauchbarkeit der SPD für ein Projekt des ökologischen Umbaus zu sprechen – wenngleich nicht auf Scharpings Weise, nicht im Stil einer affirmativen Selbstfeier der Partei als Bannerträgerin gesellschaftlicher Innovation und mitmenschlicher Solidarität. Worum es aber in Mannheim geht, ist die manifeste Führungskrise der Partei. Über deren subjektive wie strukturelle Gründe wäre zu streiten. Und zwar ohne demagogische Kunstgriffe, die die aufrechte, unermüdlich werkelnde Basis der zerstrittenen Führung gegenüberstellt. Wie unhaltbar eine solche Vorgehensweise ist, erhellt, wenn man sich eine hypothetische Frage stellt: Wieviel Prozent hätte die SPD bei den Berliner Wahlen wohl bekommen, wenn ihr die Bonner Querelen erspart geblieben wären?

Wo aber kritisches, Haupt und Glieder der eigenen Organisation nicht schonendes Bewußtsein fehlt, bleibt nur der Appell an die vergangene Größe und die Aufforderung, stolz darauf zu sein, einer ruhmreichen Partei anzugehören. Und das soll kein Traditionalismus sein? Christian Semler