Keine Spur von „Dümpelgenre“

Auf der „Woche des Hörspiels“ zeigt sich Hunger nach Geschichten und insgesamt reges Interesse an der Hörkunst. Die HörspielbeamtInnen sollten ihre derzeitige Sparpolitik überdenken  ■ Von Gaby Hartel

Seit Sonntag abend wimmelt es in der Akademie der Künste wieder bunt durcheinander. Graumelierte Herren lächeln übers Rotweinglas hinweg. Diskutierende Damen schütteln ihre Locken und zerschneiden gestikulierend die Rauchschwaden. Junge Männer in Szeneuniform – schwarze Levi's, Lederjacke, karierter Schal – trinken Bier aus Flaschen, blicken düster und rauchen. Dazwischen auch Graubefrackte. Das sind – mal kurz klischiert – die HörspielmacherInnen.

Während sie normalerweise hinter verschlossenen Türen agieren, stehen sie ihrem Publikum nun eine Woche lang „zum Anfassen“ zur Verfügung. Und auch für die HörspielaktivistInnen ist es eine seltene Chance, mit ihrer „Kundschaft“ ins Gespräch zu kommen. Ist ihnen diese unbekannte Größe doch sonst nur aus den bedrohlich niedrigen Einschaltquoten und HörerInnenbriefen vertraut. Und so könnten die Gefahren eines „feedbacklosen Versendens“ – das ein Regisseur neulich beklagte – hier einmal überwunden werden.

Seit Sonntag also gehört die akustische Bühne der Kunst und ihrem Publikum. Mit je einem Exemplar aus der beträchtlichen Jahresproduktion treten die Hörspielredaktionen von ARD und Deutschlandradio an den Start. Eines davon wird den Preis mit symbolischem Wert, den futuristischen „Lautsprecher“, gewinnen.

Auf dem Podest oder auf der Sünderbank

Durchblättert man das diesjährige Programm, fällt sogleich der „gegenständliche“ Grundton der Hörspiele auf: wortwörtliches Erzählen hat eindeutig den Vortritt vor sprachtonalen Kompositionen. Hunger nach Geschichten? Es sieht so aus. Fast ausnahmslos bleiben die Hörspiele hart an der Wirklichkeit – egal ob innere oder äußere, historische oder zeitgenössische Welten das Thema sind.

Das Interesse an diesen Hörspielen, auch von seiten der Jüngeren, ist – an den ersten Tagen – beachtlich. Keine Spur vom weinerlichen Leitmotiv des „HörerInnenschwunds“ und „Dümpelgenre“, das die Hörkunst seit Jahren begleitet. Das alles wäre ein schöner Anblick für die „Merchandising- Stäbe“ in den Rundfunkhäusern. Sie könnten hier live erleben, wie vital der Zuspruch für diese vom Rotstift stark bedrohte Medienkunst ist.

Momentan aber lauscht wohl nur die „Zielgruppe und Minderheit“ im abgedimmten Theatersaal der Akademie. Ob sie dabei die Heißenbüttelsche „Sensation des Zuhörens“ erlebt oder eher nicht, zeigt die anschließende Debatte deutlich. Dann drücken die MacherInnen das Sünderbänkchen und werden vom Publikum mal hitzig, mal ruhig gelobt oder zurechtgestaucht.

Doch auch das Getümmel in der Akademie kann über interne Probleme des Hörspiels nicht hinwegtäuschen. Denn wie überall im Kulturbetrieb wird auch am Hörspiel und seinen Produktionsbedingungen selbst „herumstrukturiert“. Und hier wie dort hängt die Zukunft der Kunst zu oft von autoritären Entscheidungen einzelner ab.

Schon ein flüchtiger Blick auf den brodelnden Pfründe-Krieg in den Funkhäusern enthüllt einen bedauernswerten Mangel an offenen und emotionsfreien Gesprächen über Honorarbedingungen, über die Einführung neuer Medien in die Hörkunst, die Auslagerung von Hörspielproduktionen in kleinere Studios und den „Computer- Koffer“. Gedanken zu Inhalt und Ästhetik zukünftiger Kulturprogramme bleiben bei ökonomisch und technisch ausgerichteten Debatten oft außen vor.

Spricht es sich beispielsweise herum, daß der international gefeierte Hörspielautor Andreas Ammer kürzlich neben den unbestreitbaren Möglichkeiten der digitalen Hörspielproduktion am „Heimcomputer“ auch auf die Gefahr der Selbstausbeutung hinwies? Und behalten die festangestellten Hörspielleiter und DramaturgInnen das Wichtigste im Auge: ihre kulturelle Verantwortung gegenüber dem Publikum?

Das mag um so schwerer fallen, als schon der Umgang mit den freischaffenden AutorInnen und RegisseurInnen in manchen Häusern zu wünschen übrigläßt. Denn ohne deren unterschiedliche Begabungen und „Spezialitäten“ könnte die europaweit einzigartige Vielfalt der deutschen Hörspiellandschaft ernsthaft gefährdet sein. Das sind Fragen, die sich die MacherInnen auch auf der heute beginnenden Hörspiel-Fachtagung im LCB stellen müssen.

Woche des Hörspiels, bis 18.11. täglich ab 20 Uhr, Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Tiergarten.

Heute: „Hotels“ von Raoul Schott (BR) und „Moss Tales“ von David Moss (SFB).

Morgen: „Dialog in D-Dur“ von Javier Tomeo (SDR) und „Das fliehende Kind“ von Benno Meyer-Wehlack (SWF)