■ Alltag in der Moabiter Isohaft: „Herr“ statt „Du“
Wie die drei Gefangenen in Westdeutschland wurde auch bei Werner K. eine vollständige Isolation gegenüber den Mitgefangenen angeordnet. Besuche dürfen nur hinter der Trennscheibe stattfinden. Briefe werden von Ermittlungsrichter Beyer zensiert. Auch die taz und die „junge Welt“ sind offenbar geeignet, die Anstaltsordnung zu gefährden: Beide Zeitungen werden Werner K., aus dessen Briefen wir im folgenden Auszüge veröffentlichen, nicht ausgehändigt.
Erst über den mahnend gehobenen Zeigefinger (von Herrn Beyer) lernte ich, meinen Mitmenschen die ihnen gebührende Achtung zu erweisen, indem ich sie zuallererst höflich und distanziert anspreche. Der Anlaß für diese Erkenntnis waren Briefe an meine Herren Mitgefangene, in denen ich sie mit einem saloppen „Du“ statt „sehr geehrter Herr“ ansprach. Sie wurden als Beweis für unsere vermeintliche Bekanntschaft beschlagnahmt. Das genannte ist noch eines der geringeren Beispiele für die erzieherischen Qualitäten insbesondere des Herrn Beyer. Böse Zungen zischen „Schikane“ und „Weichkochen“, wenn er trotz Bewachung und Trennscheibe von „verdeckter Nachrichtenübermittlung“ bei Besuchen spricht und mit diesem Argument Briefe anhält und Besuchsscheine verweigert. In drei Monaten zählte ich 53 solcher Beschlüsse – das macht immerhin ca. 0,6 angehaltene oder beschlagnahmte Postsendungen pro Tag. Die Standardbegründung: „Beeinträchtigung des Verfahrens“ und „Gefährdung der Anstaltsordnung“. Es gibt auch außergewöhnliche Begründungen. Einmal wurde ein Brief angehalten, weil der Schreiber es „offensichtlich“ darauf angelegt hätte, „die feindselige Haltung des Beschuldigten gegenüber der Justiz und seine Aggressionsbereitschaft zu fördern“. Ich kann wohl von Glück sagen, daß gerade in der jetzigen labilen Situation jegliche Hetze von mir ferngehalten wird. Noch ein Beispiel für eine Anhalte, die mir gnadenlos eine eklatante Charakterschwäche vor Augen führte: Ich bürdete dem armen Dr. Beyer einen sage und schreibe 32seitigen Brief auf. Über eine Woche habe ich daran geschrieben und die Plagen bei der Kontrolle eines solchen Wälzers glatt vergessen. [Ein Vertreter der BAW] beantragte, den Brief anzuhalten, weil er nur „belanglose Dinge und Tagesabläufe“ enthielte. Ich erkannte die Dimension meiner Nachlässigkeit: „Eine Prüfung würde die Arbeitskraft des Ermittlungsrichters für einen nicht unerheblichen Zeitraum ausschließlich in Anspruch nehmen.“ Werner K.
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